Angstspiel
Zwillingen erzählen.«
»Nein, danke, sehr freundlich. Aber ich interessiere mich eigentlich mehr für die Geburt von mir und meiner Schwester.«
Doof. Ich hätte nicht sagen sollen, dass es sich um meine Geburt handelt.
»Das ist der Geburtsschein von dir?«
Er guckt noch durchdringender. Der Mann kann als Röntgengerät arbeiten.
»Ja. Und von meiner Zwillingsschwester Luise.«
»Wenn es sich um eine Familienangelegenheit handelt, sprichst du doch am besten mit deinen Eltern darüber.«
Während er das sagt, steht er auf. So schnell lasse ich ihn nicht gehen.
»Mit meinen Eltern kann ich darüber nicht reden.«
Das klingt, als wären sie tot. Offenbar glaubt der Arzt das jetzt auch.
»Dann wäre es vielleicht das Beste, du sprichst mit der Hebamme von damals.«
»Und wer war das?«
Er guckt auf die Unterschrift auf den Kopien.
»Das war Elisabeth Knorr. Die arbeitet allerdings nicht mehr hier. Ich glaube aber, dass sie noch hier in der Gegend wohnt.«
Ich nehme ihm die Kopien aus der Hand.
»Vielen Dank.«
Als ich den Gang runtergehe, spüre ich die Augen in meinem Rücken. Aber das bin ich ja gewohnt.
Zu Hause setze ich mich mit dem Telefon auf mein Bett. Nach mehr als dreißig Minuten zaudern, zögern und durchatmen habe ich endlich allen meinen Mut zusammengekratzt. Genau in dem Moment, in dem ich wählen will, klingelt mein Handy.
»Hi, ich habe mein Handy wiedergefunden. Super, was?«
Ich höre Julchen fett grinsen.
»Ja, super.«
Muss sie ausgerechnet jetzt anrufen? Wo ich gerade mutig genug war?
»Wie geht’s dir?«
»Schon besser.«
»Dann könnte ich dich ja auf einen Magen- und Darmtee besuchen, oder?«
Ich traue ihr nicht. Traue ihrer Freundlichkeit nicht über den Weg. Warum eigentlich nicht?
Sie könnte mich ja auch fragen, ob ich nicht mit ihr in die Stadt komme. Aber das tut sie nicht - wahrscheinlich, weil sie nicht mit mir gesehen werden will.
Vielleicht aber auch, weil sie denkt, ich sei noch zu krank.
Hat nicht eigentlich alles auch mit Julchen angefangen? Ich erschrecke bei dem Gedanken.
»So fit fühle ich mich eigentlich noch nicht«, sage ich in die abwartende Stille.
»Schade. Dann wird wohl nichts aus unserem Mädels-Nachmittag.«
»Nee, ich glaube nicht.«
»Meldest du dich, wenn es dir besser geht?«
»Klar«, lüge ich.
Nachdem ich aufgelegt habe, muss ich wieder bei null anfangen. Auf mich einreden, dass es ja erst mal nur ein Anruf ist. Dass ich jetzt endlich allem auf die Spur kommen will. Ich spüre, dass ich endlich weiß, aus welcher Richtung der Rauch kommt, der mein Leben vergiftet. Dass ich vielleicht bald das Feuer finden werde, das mein Leben auffressen will.
Gerade als sich eine Frau mit »Seniorenwohnstift am Park« meldet, platzt Luise ins Zimmer - wie immer eine Nanosekunde nach ihrem Klopfen. Ich lege sofort auf, begrüße Luise.
»Habe ich dich beim Telefonsex erwischt?«, fragt sie lachend.
Ich sitze da aber auch wie ertappt.
»Klar, aber ich habe so einen Geizhals erwischt. Der macht das Vorspiel jetzt ohne mich und ruft gleich noch mal an.«
Sie grinst breit.
»Eins zu null.«
Als Luise endlich verschwunden ist - sie wollte »nur mal nach mir sehen« -, rufe ich Google-Maps auf. Seniorenwohnstift am Park - ich finde heraus, dass das nicht zu weit weg ist. Vier Busstationen. Oben aus dem Wohnzimmer höre ich einen Fernsehdialog. Ich gehe in die Küche, stecke die Packung mit schwarzem Tee ein, stecke meinen Kopf kurz ins Wohnzimmer.
»Ich gehe noch mal eben los, schwarzen Tee kaufen.«
Ehe Luise was antworten kann, bin ich schon raus. Manchmal muss man nur schnell genug sein.
14
D as Haus sieht schön aus. Schön alt. Nicht heruntergekommen. Oder nur ein bisschen. Aber nicht verwest.
»Ich möchte Frau Knorr besuchen«, sage ich zu einer Frau im ersten Zimmer rechts.
»Weiß sie, dass sie Besuch bekommt?«
»Eher nicht.«
»Dann rufe ich eben bei ihr an und frage, ob es ihr passt. Wer sind Sie denn?«
»Ich? Ähm, ich heiße Linda. Ich interessiere mich für den Beruf der Hebamme.« Puh, ich werde noch Weltmeisterin im Lügen.
»Und da ist Ihnen Frau Knorr empfohlen worden?«
»Ja, schon irgendwie.«
Frau Knorr meldet sich schnell. Die Frau kündigt mich an. Es folgt eine Pause, ein kurzer Blick auf mich.
»Sechzehn oder siebzehn«, antwortet die Frau in den Hörer. Dann nickt sie.
»Sie können hochgehen«, sagt sie knapp, nachdem sie aufgelegt hat.
Was könnte diese Frau Knorr gefragt haben, auf das
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