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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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wenn ich aus Versehen in irgendeinen Lichtkegel geriet. Das war auch schon immer so. Man kann eigentlich kaum glauben, dass wir Zwillinge sind. Oder vielleicht gerade doch. Alle Eigenschaften sind nicht geteilt worden, sondern vielleicht der Einfachheit halber im Ganzen verteilt worden. Du kriegst die Angst, du den Mut. Du kriegst das Laute, du das Leise, du das Licht, du den Schatten. Du die Locken, du die Langeweile. Manchmal habe ich mich gefragt, auf was ich mehr neidisch sein soll. Auf ihr Aussehen oder ihre Stärke? Weil ich mich dann aber nie entscheiden konnte, habe ich es ganz gelassen. Luise kann man eigentlich nichts neiden. Man gönnt ihr alles.
    »Ich werde sicherlich niemals auf eine Bühne gehen. Und das weißt du auch«, sage ich nur.
    »Ist ja klar. Du sitzt im Hintergrund und bist ein Chatpartner. Alles, was du schreibst, erscheint auf einer großen Leinwand - wie eben auf dem Bildschirm. Vielleicht könnten wir es auch ein bisschen geheimnisvoll machen. Oder gruselig.«
    Ich starre sie an. Wäre jetzt ein Zeitpunkt gekommen? Wäre jetzt nicht genau der Moment zu sagen: »Luise, das Drehbuch dazu hätte ich schon. Ich bin nämlich gerade inmitten eines Horrorfilms.«
    Vielleicht muss ich es jetzt einfach erzählen. Nur ihr. Sie muss ja Mama und Papa nichts sagen. Aber ich würde meine Angst mal rauswürgen, sie nicht mehr runterschlucken. Vielleicht würde sie ein ganz klein bisschen ihre scharfen Kanten verlieren, wenn ich ihr Worte geben könnte. Manchmal werden Dinge ja kleiner, wenn sie gesagt werden. Soll ich? Kann mein Leben denn noch schlimmer werden? Eigentlich nicht.

    Ich räuspere mich. »Im Internet können wirklich furchtbare Sachen passieren«, fange ich an.
    »Nicht nur im Internet«, sagt Luise.
    Ich beiße mir auf die Lippe und setze neu an: »Ich habe mal von einem Mädel gehört, von der ganz üble Fotos im Netz erschienen. Mit Atombusen und so.«
    »Was ist an großen Brüsten denn so übel?«, lacht Luise. »Was meinst du, was die für Fanpost bekommen hat?«
    »Stell dir vor, von dir wären solche Fotos durchs Web gegeistert und Paul hätte das damals gesehen.«
    »Paul hätte ja gewusst, dass das nicht ganz den nackten Tatsachen entspricht. Wahrscheinlich wäre es sogar Paul gewesen, der die Fotos manipuliert hat, um ein bisschen mit seiner Freundin anzugeben.«
    Sie will mich nicht verstehen. Oder kann es nicht. Ich lasse es sein, schwenke wieder um. Und wie kommt sie auf die Idee, Paul könnte Fotos im Netz verändern? Hat er das schon mal gemacht? Ich traue mich nicht, Luise danach zu fragen.
     
    Später sagt sie: »Wie wäre es, wenn wir am Wochenende mal Opas Zimmer neu streichen?«
    »Dann können wir nächste Woche deinen Umzug nach hier unten machen«, schlage ich vor. Ich kann es nicht erwarten.
    »Gute Idee. Vielleicht sollten wir dein Zimmer gleich mitstreichen.«
    »Ja, vielleicht sollten wir das.«
    In dem Moment weiß ich schon, dass ich das nicht will. Aber wenn ich das jetzt sage, versucht Luise mich zu überreden. Das ist mir jetzt zu anstrengend. Ich will mein Zimmer nicht verändern. Nichts hier. Mein Zimmer ist meine Höhle, und die soll genauso bleiben, wie sie ist.
    Luise verschwindet, damit ich mich mal wieder ausruhen
kann. Während unseres Gesprächs war ich zwei Mal auf dem Klo. Außerdem will sie direkt in den Baumarkt, um sich lustige Farben für ihr neues Zimmer auszusuchen. Nur ein Narr könnte glauben, dass Luise die Wände weiß streicht.
    Als sie weg ist, bereue ich, dass ich Luise nicht gefragt habe, ob sie Julchen an der Schule getroffen hat. Vielleicht sollte sie mir ja liebe Grüße ausrichten und hat es nur vergessen. Vielleicht hat sie sie aber auch getroffen und soll nichts ausrichten. Deswegen habe ich erst gar nicht gefragt. Hat Julchen mich wirklich abgeschrieben? Selbst wenn sie sich in der Schule nicht mehr traut, nett zu mir zu sein - könnte sie nicht mal anrufen? Das würde doch keiner mitkriegen. Ich wickele mich in eine Wolldecke, weil mir so fürchterlich kalt ist, und gehe nach oben. Ich finde meine Mutter im Garten.
    »Hat eigentlich jemand für mich angerufen?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Wartest du auf einen bestimmten Anruf?«
    Ich zucke mit den Schultern. »Merlin wollte sich melden und mir sagen, was ich in Physik verpasst habe«, lüge ich schnell.
     
    Als ich auf dem Weg nach unten am Telefon vorbeikomme, tue ich es einfach. Vielleicht hat Julchen es ja versucht und meine Mutter hat das Klingeln nicht gehört.

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