AnidA - Trilogie (komplett)
aus.
»Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«, fragte ich höflich.
Sie nickte und schüttelte beinahe gleichzeitig den Kopf, eine Geste, die mich an meine Großmutter erinnerte. »Wir arbeiten uns langsam darauf zu.« Sie hielt ihre Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu verbergen. »Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Menge von Informationen so ein Tlen-na'Tian besitzt. Aber sie sind alle nur in seinem Kopf, und es ist mühsam, die richtigen zu finden. Mühsamer als das Blättern in Büchern. Die Grennach haben ein anderes Verhältnis zur Zeit und zur Geschichte als wir.« Sie gähnte wieder und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Und, wie hast du dir deine Zeit vertrieben?«
Ich erzählte von dem Besuch im Männerbezirk. Dann fiel mir wieder der seltsame Fremde ein. Ylenia hörte sich die Beschreibung an und krauste unwillig die Stirn.
»Ah, ja«, sagte Mellis, die mit Dix im Schlepptau zu uns gekommen war und meine Worte gehört hatte. »Die Krähe reist vor dem Sturm. Jinqx ist wieder da. Ein sehr selten gesehener Gast in der letzten Zeit. Entschuldige, Ylenia, dass ich unterbreche, aber hast du eine Ahnung, wo meine Mutter ist?«
Ich fühlte, wie meine Augenlider schwer wurden. Ich entschuldigte mich und machte mich an den langen Abstieg zu meinem Schlafnest.
Mellis hatte mir von einem kleinen See erzählt, der unweit des Großen Nestes liegen sollte. Der klare Morgen versprach einen schönen, warmen Tag, und ich bekam Lust auf ein Bad, also packte ich Chloe ein und machte mich auf den Weg. Nach einem gemächlichen Spaziergang von etwa einer halben Stunde erreichte ich das nördliche Ufer des Sees und sah staunend darauf nieder. Das Wasser des beinahe kreisrunden Sees schien schwarz zu sein, so dunkel und still lag er vor mir. Ich zog mich aus und ging tastend hinein. Das Wasser war kühl und, als ich eine Hand voll davon schöpfte, vollkommen klar. Ich trank einen Schluck aus der hohlen Handfläche. Es schmeckte süß und frisch wie Quellwasser. Chloe paddelte vergnügt neben mir her, auch sie schien das Bad weidlich zu genießen.
Ich schwamm, bis es mir zu kühl wurde, und legte mich dann zum Trocknen in einen Sonnenfleck am Ufer. Gegen Mittag wanderte ich gemächlich zurück zum Nest, um nach Dix zu suchen. Er steckte schon wieder mit Mellis zusammen, und ich überließ die beiden sich selbst.
Ein wenig verloren wanderte ich im Gewirr der Äste umher und fragte mich, warum Ylenia eigentlich darauf bestanden hatte, mich hierher mitzunehmen. Gedankenlos blickte ich in die Blätterkrone hinauf, wo ein paar halbwüchsige Grennach-Mädchen sich unter lautem Gekreisch eine halsbrecherische Verfolgungsjagd lieferten, und stolperte über ein Paar Beine, die in den Weg ragten.
»Hoppla«, sagte eine weiche Stimme, und eine kräftige Hand hielt mich am Ellbogen fest, damit ich nicht vom Ast purzelte. Ich klammerte mich an eine Schulter und blickte direkt in die amüsierten dunklen Augen des Fremden, den ich in der Zwischenzeit völlig vergessen hatte. Er hockte mit dem Rücken an den Stamm gelehnt da und rauchte seine Pfeife. Ich registrierte belustigt, dass er seine Kleider offenbar gesäubert und ordentlich geflickt wiederbekommen hatte. Er stank jetzt nicht mehr ganz so atemberaubend, aber das war auch schon die beinahe einzige Verbesserung. Die krause Mähne stand noch genauso wirr und zottelig um sein breites Gesicht, und trotz einer anscheinend vorgenommenen oberflächlichen Reinigung sah er so schmuddelig und heruntergekommen aus wie am Vortag, wenn auch inzwischen wohl ein wenig nüchterner. Ich ertappte mich dabei, dass ich ihn schon wieder so anglotzte wie zuvor, und ärgerte mich über mich selbst.
»Alles in Ordnung?«, fragte er undeutlich und zwinkerte spöttisch. Die Pfeife klemmte zwischen den weißen Zähnen, denn er drehte ein kleines Stück Wurzelholz zwischen seinen groben Fingern und blickte ab und zu flüchtig darauf nieder.
»Ja, danke«, erwiderte ich und wollte weitergehen.
»Jinqx«, kreischte eine helle Stimme. Der Ruf wurde von einigen anderen aufgenommen.
Ich konnte mich gerade noch zur Seite lehnen und mich Halt suchend an der rauen Rinde festklammern, denn eine Schar von Grennach-Mädchen tobte wie eine Springflut an mir vorbei, drängte mich an den Rand des Astes und umzingelte den Fremden. Ihre hellen, durchdringenden Stimmen riefen zirpend und zwitschernd durcheinander und wurden ab und zu von der tieferen Stimme des Fremden unterbrochen. Ein
Weitere Kostenlose Bücher