AnidA - Trilogie (komplett)
aller Kraft gegen die mich fesselnde Starre an. Mit einem Schrei löste ich den klammernden Griff um meinen Geist und riss mich los. Die Realität schnappte zurück und stürzte über mir zusammen. Ich sank in die Knie und erbrach mich krampfhaft und heftig.
Als ich endlich wieder in der Lage war, meine Umgebung wahrzunehmen, fiel mein Blick auf meine Schwester, die reglos am Seeufer kniete. Sie hielt einen Glühstein in der Hand und starrte darauf nieder.
»Es tut mir leid. Aber du hast es jetzt auch endlich gesehen, nicht wahr? Die Krähe hatte Recht, ich darf meinen Augen hier nicht trauen.« Sie ließ den Glühstein blendend hell aufflammen und führte ihn an ihr Gesicht. Ehe ich auch nur eine Bewegung machen konnte, hatte sie ihr grauenhaftes Werk vollendet und hockte da, die Hände vor die ausgebrannten Augenhöhlen geschlagen.
»Was hast du getan?«, keuchte ich. Sie ließ die Hände sinken, die Lider über die leeren Augenhöhlen gesenkt und mit friedlicher Miene.
»Lass uns jetzt gehen«, sagte sie ruhig. »Wir haben schon zu lange gezögert, meine Schwester. Ich kann es nun klar erkennen. Wir müssen zurück.« Eine Krähe rief heiser und misstönend. Als sei das ein Signal gewesen, stand Ida auf und griff nach meiner Hand. »Komm. Bringen wir es zu Ende.«
Sie trat einen Schritt auf das Ufer zu, und ich folgte ihr wie betäubt. Wieder veränderten sich die Farben: Der Himmel wurde blutig rot, und das Grün der Bäume und des Grases verfärbte sich zu einem giftigen Violett. Das bleiern aussehende Wasser des Sees schäumte bösartig auf. Ich zögerte, weiterzugehen, aber Idas fester Griff um meine Hand lockerte sich nicht, sie zog mich unbarmherzig weiter mit sich. Ein zweiter Schritt, und erneut erzitterten die Konturen der Umgebung, begannen sich zu verformen und ineinander zu fließen. Mir wurde übel, aber es war mir unmöglich, meine Augen zu schließen. Der dritte Schritt, mit dem wir eigentlich den Rand des Wassers hätten erreichen müssen, führte uns in eine zähe, unnachgiebige Luftmasse, die uns einfing und festhielt wie Bernstein ein kleines Insekt. Die Umgebung erstarrte zu einer verwackelten, falsch belichteten Fotografie. Ida schob unbeirrbar ihren Fuß vor zum nächsten Schritt und zerrte mich mit sich. Etwas dehnte sich und riss. Die erschreckend falschfarbene, erstarrte Landschaft, in der wir gefangen waren, zersplitterte in tausend Scherben und verschwand mit einem trommelfellzerfetzenden Schrillen in undurchdringlicher Schwärze.
Blind tappte ich hinter Ida her, die ohne ein merkliches Zögern weiterging. Ein sanftes graues Glühen schimmerte auf und wurde stetig heller. Ich blinzelte und schluckte. Steinerne Säulen wuchsen ringsherum aus dem Boden und reckten sich einer niedrigen, gewölbten Decke entgegen. Unzählige Durchgänge und Torbögen standen dunkel und schweigend da und erwarteten unser Eintreten.
Ida blieb stehen und wandte sich zu mir um. Ich starrte sie sprachlos an.
»Aber wir sind ...«, begann ich ungläubig zu erkennen. »Wir sind wieder in der Zitadelle!«
»Wir waren niemals fort. Keinen Augenblick lang.«
Meine Knie wurden weich, und ich setzte mich auf den harten, kalten Steinboden. »Aber Tallis«, stotterte ich hilflos. »Tante Ylenia ...«
Ida hockte sich neben mich. »Wir müssen zurück ins Labyrinth. Die Magierin hat uns abgelenkt, und vielleicht wäre es ihr auf diese Weise sogar gelungen, sich die Herzen zu erschwindeln. Wir müssen handeln, Eddy. Uns bleibt keine andere Möglichkeit, wenn wir jemals wieder von hier entkommen wollen. Wir müssen uns ihr stellen, sonst werden wir uns den Rest unseres Lebens fragen, ob wir in Wirklichkeit noch immer durch die Zitadelle irren!«
Ich fror. Die Illusion unserer Flucht aus der Zitadelle war zu plastisch und zu überzeugend gewesen. Der Gedanke, auf ewig durch dieses Labyrinth zu stolpern und sich möglicherweise noch nicht einmal dessen bewusst zu sein, jagte mir einen tödlichen Schrecken ein.
»Wie hast du es nur bemerkt?«, fragte ich und stand auf. Meine Beine waren noch immer ein wenig unsicher, deshalb lehnte ich mich für einen Moment an eine Säule. Ida hob in einer verwirrten Geste die Hände und ließ sie wieder sinken.
»Ich weiß es nicht. Es fühlte sich alles irgendwie falsch an. Und wenn ich die Augen schloss, konnte ich immer noch das Labyrinth sehen. Zuerst dachte ich, das wäre die Erinnerung, die mich nicht loslassen wollte. Aber das Bild wurde immer deutlicher.«
Sie verstummte
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