AnidA - Trilogie (komplett)
ein Vogel strich ich über die Stadt hinweg, zog meine Kreise über den Clouds, die vor Leben wimmelten; bog in eine weite Kurve, um über das endlose Meer zu fliegen, blickte auf die Schaumkronen und das blitzende Wasser, schwang mich empor, immer weiter, bis ich die tiefe Schwärze der ewigen Nacht erreichte, in der Milliarden von Sternen blitzten. Ein regenbogenfarbener Schleier erschien, und ich stieß hindurch, sah auf all die Möglichkeiten der Realität, die sich vor mir auffächerten wie ein Bild aus strahlend bunten Edelsteinen. Irgendwo dort war Cairon und das Kaiserreich, irgendwo dort lag die Welt, in der ich geboren und von der ich entführt worden war, irgendwo dort war alles, was je gewesen war und all das, was niemals sein würde.
Ich hörte das amüsiert klingende Krächzen einer Krähe. Eine dunkel glühende Wolke verdeckte das Spiel der Welten. Etwas riss mich dem schwärzlichen Nebel entgegen, obwohl ich all meine Kraft anstrengte, mich nicht von der Stelle zu rühren. Ich wirbelte durch das dunkle Licht und fiel hilflos auf die blendende Schwärze in seinem Zentrum zu. Meine Hand umklammerte Rettung suchend das Herz der Welt, das strahlend weiß aufblitzte. Wieder erklang der heisere Vogelruf. Ich tauchte kopfüber in das tödliche Nichts. Schwärze umhüllte mich, und ich spürte meinen Körper nicht mehr. Ich öffnete Augen, die nicht existierten und rief mit einer Stimme, die nicht mehr die meine war.
»Hier bin ich«, flüsterte jemand, und ich vernahm es, obwohl ich keine Ohren mehr besaß, die den Klang hätten auffangen können. »Ich habe noch etwas, was zu dir gehört, Eddy. Fang auf!« Ich spürte, wie meine Hände sich um etwas schlossen.
»Lebe wohl«, sagte die Stimme mit sanftem Bedauern. »Wenn du mich jemals wieder sehen willst, wirst du mich hier suchen müssen, meine Freundin. Aber ich rate es dir nicht, die Reise ist allzu lang und beschwerlich. Lebe wohl, Eddy.« Das Dunkel zog sich zurück. Die strahlende Schwärze schrumpfte zu einem Ball zusammen, zu einem fingerhutgroßen Punkt, zu einem Stecknadelkopf aus blendender Dunkelheit.
Ich öffnete die Augen und saß vor dem niedergebrannten Kaminfeuer. Die Asche war noch warm, aber das Feuer war ebenso erloschen wie das in meinen Händen. Ich blickte auf meine zusammengelegten Handflächen nieder, die etwas Warmes, Atmendes umschlossen, das sich heftig bewegte. Es krabbelte und drückte gegen meine Finger, und eine winzige rosa Nase schob sich schnuppernd durch eine Lücke zwischen ihnen. Ein beleidigtes Schniefen erklang. Ich öffnete mit einem erstaunten Aufschrei die Hände und sah auf die kleine Ratte, die auf ihren Hinterbeinen hockte und sich ungerührt zu putzen begann.
Erst Tage nach Chloes erstaunlicher Rückkehr bemerkte ich, dass die kleine Holzkrähe, die Jinqx mir geschenkt hatte, fort war. Ich stülpte alle Taschen meiner verschlissenen Lederjacke um und um, aber die Krähe blieb verschwunden. Das war der Tag, an dem ich meine Lederjacke endgültig in einer Truhe verstaute und vergaß. Inzwischen hatte ich mich an die weichen, hellen Gewänder des Ordens gewöhnt, die gleichzeitig bequem und angenehm warm und mit befriedigend vielen Taschen bestückt waren, in denen Chloe sich sofort zu Hause zu fühlen schien. Wenn wir das Haus verließen, tauschten wir die langen Gewänder gegen praktischere Hosen und Tuniken aus und hüllten uns zusätzlich in schwere Umhänge mit weiten Kapuzen, die hervorragend dazu taugten, den scharfen Wind abzuhalten.
Ich begann, auszusehen und mich zu fühlen, als wäre ich schon mein Leben lang eine der Schwestern dieses Ordens. Ylenia sprach niemals wieder die Frage ihrer Nachfolge an. In schweigender Übereinkunft begann sie damit, mich in die Geheimnisse ihres Amtes einzuweihen.
Zu Beginn des Sommers arbeitete ich gemeinsam mit meinen Schwestern in den Gärten des Ordenshauses. Gartenarbeit war mir zwar fremd, aber die geduldige Schwester, die die Gärten unter sich hatte, blieb an meiner Seite und wies mich ein. Ich fand Spaß an dieser Arbeit, jedenfalls mehr, als an den langweiligen Küchen- und Hausdiensten, von denen keine der Schwestern verschont blieb, wie wichtig auch ihre sonstigen Aufgaben sein mochten.
Die Sonne hatte noch nicht ihre volle sommerliche Kraft, aber mir wurde dennoch schnell warm. Ich entledigte mich meiner Leinentunika und arbeitete in dem Unterhemd aus dünner Fischseide weiter, das ich darunter trug. Sicherlich hätte keine der Schwestern sich
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