AnidA - Trilogie (komplett)
meine Kräfte zu beherrschen«, sagte sie. »Er bewahrt mich davor, ständig von ungebetenen Visionen heimgesucht zu werden, und hilft mir, mich auf das zu konzentrieren, was ich sehen will. Wenn ich ihn in die Tasche stecke, nur damit niemand ihn sieht, nützt er mir nichts.«
Aber sie sorgte sich, den kostbaren Stein offen mit sich zu tragen. Das bot mir die Gelegenheit, ihr mit meinen neu erworbenen Fähigkeiten zu Diensten zu sein. Ich legte einen einfachen Tarnzauber über die Träne, der sie vor allzu begehrlichen Blicken schützte.
Unsere Reise verlief ohne Zwischenfälle. Seit die Nebelgrenze verschwunden und Frieden mit dem Nebelhort geschlossen worden war, herrschte Ruhe in dem Grenzgebiet, durch das wir uns bewegten. Wir übernachteten in kleinen, sauberen Gasthäusern, wo wir freundlich, wenn auch mit leiser Verwunderung bedient wurden. Zwillinge schienen in dieser Welt nicht allzu häufig vorzukommen.
Etwa eine Tagesreise vor unserem Ziel ritten wir gegen Abend in den Hof einer schmucken Herberge ein. Ida sprang von ihrem Pferd und rief laut nach der Wirtin, die auch sofort aus der Tür trat und überrascht die Arme ausbreitete.
»Matelda, das ist meine Schwester Adina«, stellte Ida mich der rundlichen, nicht mehr allzu jungen Frau vor. Die drückte herzlich meine Hand und musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen.
»Dorkas hat nicht übertrieben«, stellte sie fest und lächelte mich an. »Kommt herein, ihr beiden. Ihr seid sicher hungrig.«
An diesem Abend lauschte ich amüsiert, wie Ida und die Wirtin Erinnerungen austauschten. Ida und Mellis hatten anscheinend für die freundliche Matelda allerlei Güter über die Nebelgrenze geschmuggelt, und die Furcht erregende Dorkas schien eine besonders enge Freundin der blonden Wirtin zu sein. Es amüsierte mich, dass meine besonnene Schwester sich zu illegalen Aktivitäten hatte verleiten lassen. Vielleicht hätte sie es doch geschafft, in den Clouds von Cairon City zu überleben, was ich bislang stark bezweifelt hatte.
»Gibt es Neuigkeiten von Dorkas?«, fragte Ida. Matelda kniff die Augen zusammen und blickte uns ein wenig misstrauisch an. Ida legte besänftigend ihre Hand auf Mateldas Arm. »Du kannst uns vertrauen. Ich weiß, was ihr in den letzten Jahren riskiert habt. Aber jetzt herrscht Frieden zwischen der Hierarchie und dem Hort. Meinst du nicht, du kannst deine Vorsicht ein wenig lockern?«
Matelda verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Gut und schön. Es mag sein, dass wir Frieden haben, aber glaubst du, sie würden uns in Ruhe lassen, wenn sie herausfinden, was wir getrieben haben? Wir haben gegen so ziemlich alle Gesetze verstoßen, die hier oder im Hort existieren. Von dem neuen Padischah haben wir sicherlich nichts zu befürchten, aber wenn der Hierarch herausfindet, was hier direkt unter seiner Nase gelaufen ist, habe ich seine Garde auf dem Hals und kann mein Haus schließen.«
Sie zuckte vielsagend mit den Achseln, und Ida nickte nachdenklich. »Was macht Dorkas jetzt? Ihre Arbeit ist doch unter den jetzigen Bedingungen überflüssig geworden.«
Matelda strahlte über das ganze Gesicht. »Den Schöpfern sei Dank«, sagte sie aus tiefstem Herzen. »Sie löst nach und nach unsere Organisation auf. Wir hatten eine große Zahl von Mitarbeitern überall im Hort, die noch entlohnt werden müssen.« Ihr rundes Gesicht bewölkte sich. »Und dann sind da noch unsere Problemfälle, die Kerle, die sie damals mit der Organisation übernehmen musste, um den Anschein zu wahren. Dorkas und Marten dürften alle Hände voll zu tun haben, um sie endlich aus dem Weg zu schaffen.«
Ida war zusammengefahren. »Marten?«, fragte sie nach. Matelda schnitt eine Grimasse.
»Ein widerlicher Kerl, aber ein ausgezeichneter Koch. Ich gäbe etwas darum, wenn er hier für mich arbeiten würde.« Sie lachte. »Er ist Dorkas' rechte Hand. Hast du ihn nicht kennen gelernt, als du sie im Hort getroffen hast? Sie arbeiten schon lange zusammen.«
Idas Miene war verschlossen. »Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«
»Wann war das? Vor einer halben Ewigkeit«, dachte Matelda laut nach. »Er hat einen Transport ausnahmsweise selbst begleitet, weil er sichergehen wollte, dass eine bestimmte Person mit heiler Haut hier ankommt. Zwei Jahre dürfte das jetzt her sein.«
Ida nickte verbissen. »Dorkas hat dir nicht gesagt, dass Marten seinen Abschied genommen hat?«
Matelda riss die Augen auf. »Nein«, erwiderte sie erschreckt. »Aber warum hätte sie
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