AnidA - Trilogie (komplett)
Luft ein und fragte mich, was ihnen so merkwürdig erscheinen mochte. Es roch nach Herbst und Abschied, ein schwerer, vertrauter Duft von Walderde und modernden Blättern. Ich seufzte vor Verlangen.
Der Mann setzte die Flasche an seine Lippen und nahm einen vorsichtigen Schluck. Er spuckte aus und wischte sich über den Mund. »Das ist widerlich«, knurrte er und reichte der Frau Jinqx' Flasche. »Ida, das ist kein Schnaps, das ist faules, sumpfiges Wasser. Es schmeckt wie der Tod persönlich!«
»Bei den Schöpfern«, sagte die Frau erschüttert. »Simon, was geht hier vor? Sieh sie dir an, sie scheint seit ihrer Ankunft noch dünner geworden zu sein. Sie ist bald nur noch Haut und Knochen.« Ich wandte meine ermüdende Aufmerksamkeit von dem unverständlichen Gemurmel ab. Das Herz des Todes sang sein lockendes Lied für mich.
Als ich das nächste Mal in diese Wirklichkeit zurückkehrte, die immer mehr an Substanz zu verlieren schien, war es finstere Nacht. Ich fühlte mich erfrischt und klarer im Kopf als seit langem. Vorsichtig richtete ich mich auf und schwang meine Beine aus dem Bett. Chloe, die schlafend an meiner Brust gelegen hatte, erwachte und fiepte erwartungsvoll. Ich ließ den Glutstein aufflammen und zog mich an. Eine Gestalt, die unvermutet vor mir stand, ließ mich innehalten. Es war eine Fremde, eine hagere, Schrecken erregende Knochengestalt, der die Kleider um den Leib schlotterten, mit knochigen Händen und einem Gesicht, dessen Haut sich pergamenten straff über einen fleischlosen Schädel spannte. Augen lagen gespenstisch leuchtend tief in ihren Höhlen, und zwischen den finster gekrausten Brauen schien ein dunkler Stern zu flammen.
»Ter'nyoss«, flüsterte ich ehrfurchtsvoll und neigte grüßend meinen Kopf. Die Fremde erwiderte hoheitsvoll meinen Gruß, und da erst erkannte ich, dass ich meinem eigenen Spiegelbild in der Fensterscheibe ins Gesicht blickte. Ich lachte auf, aber meine Knie zitterten vor Schreck.
Ich richtete meine Kleider und ging zur Tür. Es war mir, als hielte mich etwas zurück. Zögernd griff ich nach meinem Reisesack. Ich wusste genau, dass ich sie nicht eingepackt hatte – wenn ich es recht bedachte, hatte ich sie schon seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen und hätte geschworen, dass ich sie längst fortgegeben hatte –, aber jetzt ertasteten meine Finger das weiche, altersmürbe Leder meiner alten Jacke. Ohne Überraschung zog ich sie hervor und schlüpfte hinein. Chloe schniefte erfreut und krabbelte flink in ihre alte Behausung. Ich verstaute Jinqx' Flasche und steckte das Kleinod dazu, das ich nun schon so lange hütete. Ein letzter Blick rundum, der Wink, der den Glühstein erlöschen ließ, und leise schloss sich die Tür hinter mir.
Vor Idas Räumen zögerte ich einen Moment lang. Ich strengte meine lange nicht mehr benutzten Hexensinne an und tastete damit in den Schlafraum hinein. Wie ich es vermutet hatte, war dort noch eine andere Gegenwart zu erspüren: Simon lag bei meiner Schwester. Ich legte die Hände auf das warme Holz der Tür und schloss die Augen. Dieser Zauber war einer der leichteren, und er kostete mich nicht mehr Mühe, als ich in meinem geschwächten Zustand aufzubringen vermochte. Als ich sicher war, dass beide Schläfer in tiefem Bann lagen und nicht aufwachen würden, trat ich in das Schlafgemach.
Die tiefen, ruhigen Atemzüge leiteten mich durch die beinahe lichtlose Finsternis zum Bett. Ich blieb neben Ida stehen und focht einen kurzen Kampf mit mir aus, ob ich sie nicht doch aufwecken sollte. Doch meine Müdigkeit gab den Ausschlag: Ich wollte mich der unvermeidlich folgenden Diskussion lieber nicht aussetzen. Da ich den Glühstein auf meinem Zimmer gelassen hatte, ließ ich eine Kugel aus Geisterfeuer aufleuchten und setzte sie auf die Bettdecke. Idas Gesicht wirkte glatt und jugendlich in der Beleuchtung. Ich sah voller Rührung auf sie hinunter. Dann löste ich den schmalen Ring von meinem Finger und legte ihn neben ihre Hand auf das Bett. Ich wollte mich mit einem letzten Blick abwenden, als ein eisiger Schreck durch meine Glieder fuhr: Ida sah mich an. Ihre Augen waren tiefe, dunkle Pfützen aus Nacht, aber ohne jeden Zweifel war sie wach und blickte mich an. Ich hob verzweifelt den Arm, um den Zauberbann zu vertiefen, der mir so schändlich misslungen war, aber sie griff nach meiner Hand und hielt mich auf.
»Eddy«, murmelte sie schläfrig. »Was hat das zu bedeuten?« Sie betastete Großmutters Ring und umfasste ihn
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