AnidA - Trilogie (komplett)
sie ein zufälliger Kratzer, sondern weit eher wie von einem Messer oder etwas ähnlichem verursacht.
Vor dem Haus der Hebamme blieb Dorkas stehen und klopfte kurz und kräftig an die Tür. »Herein, nur herein«, erscholl von drinnen die hohe, junge Stimme Marisas, der Hebamme und Heilerin des Dorfes.
Dorkas schob die Tür auf und betrat den niedrigen Hausflur. Ida, die ihr folgte, musste ein wenig den Kopf einziehen, als sie durch die Tür trat. Bei ihrem letzten Besuch bei Marisa, der ein Jahr zurücklag, war das noch nicht nötig gewesen.
»Ah, da seid ihr endlich«, empfing die alte Hebamme sie lebhaft. »Der Tee ist fertig, und ich habe euch Pfannkuchen gebacken. Die magst du doch, meine Kleine? Setzt euch, setzt euch!«
»Aber was für eine Frage, Marisa«, erwiderte Dorkas. »Du weißt, wie sehr ich deine Pfannkuchen vermisst habe.« Sie setzte sich an den Tisch, der mitten in der unordentlichen Küche stand, und winkte Ida, ebenfalls Platz zu nehmen. Marisa werkelte geschäftig an ihrem Herd herum. Es roch wunderbar nach den frischen Pfannkuchen und dem süßen Sirup, den die alte Frau darüber goss.
»Hier, Kinder, esst, solange sie noch heiß sind«, sagte sie und stellte ihnen beiden einen Teller mit einem hohen Stapel der zart gebräunten, dünnen Kuchen hin. Sie schöpfte duftenden Kräutertee in irdene Becher und stellte Honig zum Süßen auf den Tisch. Dann zog sie sich selbst einen Stuhl heran und sah den beiden wohlwollend beim Essen zu.
Ida war nicht mit dem Herzen bei dem Schmaus, obwohl sie hungrig war und die Pfannkuchen die besten, die sie je probiert hatte. Sie rollte sich stirnrunzelnd einen der dünnen Kuchen zusammen und biss hinein, dass ihr der goldbraune Sirup von den Fingern tropfte. Dorkas und Marisa tauschten Neuigkeiten über Leute aus, die Ida nicht kannte. Dorkas berichtete kauend von dem Schwur, den eine gewisse Letta endlich abgelegt habe, nachdem sie zehn Jahre darum herumgeschlichen sei wie eine Katze um einen Fischteich, in dem es Hechte gab. Marisa gab ihr typisches Lachen von sich, eine Mischung aus Kichern und Glucksen, das ungemein ansteckend war. Ida ertappte sich, dass sie lächelte, obwohl sie weder diese Letta kannte, noch begriff, um was für eine Art von Schwur es sich handeln mochte.
»So, die kleine Letta. Hat sie nicht versucht, noch am Vorabend auszubüxen oder ihre Schwurschwestern davon zu überzeugen, sie abzulehnen?«
Dorkas schnaubte amüsiert. »Und ob sie das hat, Marisa. Erne, ihre erste Schwurschwester, hat sie vorsichtshalber in ihre Kammer eingesperrt und mit Pippa, der anderen, die ganze Nacht Wache geschoben.« Ihre Stimme versagte. Sie wurde von einem stummen Lachanfall geschüttelt. Marisa schnappte hilflos nach Luft und hielt sich die Seiten. »Am Morgen haben sie sie dann rechts und links untergenommen – du erinnerst dich an den Griff, den Lale uns damals beigebracht hat, und der es absolut unmöglich macht, auch nur einen Finger zu rühren? – und zum Schwurstein geschleift. Ich schwöre dir, Lettas Füße haben bis zum Schluss der Zeremonie nicht ein einziges Mal den Boden berührt!«
Die beiden Frauen schrien vor Lachen. Ida sah beinahe peinlich berührt von einer zur anderen. Noch nie hatte sie erlebt, dass erwachsene Frauen sich derart würdelos benahmen.
»Oh, ich sterbe«, ächzte Marisa und wischte sich die Augen. »Kind, ich habe nicht mehr so gelacht, seit Mutter Guda ...«
»... mit dem Tisch umgefallen ist«, ergänzte Dorkas und schnaubte wieder.
Marisa kicherte und schenkte allen Tee nach. »Und? Wie geht es Letta jetzt?«
»Sie tiriliert den ganzen Tag wie ein Vögelchen und strahlt wie die Sonne. Sie hat noch am selben Tag die neuen Mädchen allesamt unter ihre Fittiche genommen und ist so glücklich, dass es schon fast peinlich ist. Ich weiß nicht, wieso sie den Schwur so lange vor sich hergeschoben hat.«
Marisa atmete den aromatischen Dampf aus ihrem Becher ein und schmunzelte. »Es fällt nicht allen so leicht wie dir, Dorkas. Letta hat eine anständige Erziehung genossen, das kann ein arger Hemmschuh sein, wie du weißt.« Sie wandte sich mit einer entschuldigenden Geste zu Ida. »Entschuldige, Ida, aber ich habe meine kleine Dorkas sehr lange nicht gesehen, und noch länger war ich nicht mehr zu Hause in Tel'krias. Ich dürstete nach Neuigkeiten von meinen Schwestern, das verstehst du doch sicher.« Ihre sanften dunklen Augen baten um Vergebung, und Ida streichelte voller Zuneigung über die weiche Hand der
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