AnidA - Trilogie (komplett)
bin ganz und gar nicht sicher ...« Sie zögerte.
Fiamma verzog ernsthaft das kleine Gesicht. »Du weißt nicht, ob er deine schwesterlichen Gefühle mit gleicher brüderlicher Zuneigung erwidert«, vollendete sie Idas Satz. Ida musste über die Formulierung lächeln, aber sie nickte.
»Er gibt sich sehr kühl und sehr erwachsen, und er vermittelt mir ständig das Gefühl, jung und dumm und ›nur ein Mädchen‹ zu sein. Das hat er vorher nie getan.« Sie hob die Schultern. »Es ist mir egal«, sagte sie nicht ganz wahrheitsgemäß. »Aber ich vertraue ihm nicht mehr so bedingungslos wie früher.« Sie hob den Kopf und lauschte. »Tante Ysa ruft.« Ida verdrehte die Augen. »Ich wette, sie hat wieder irgendwelche widerliche Küchenarbeit, die danach schreit, von mir erledigt zu werden.« Sie blies die Backen auf und hob den Korb auf die Hüfte. »Leistest du mir dabei noch ein wenig Gesellschaft, Fiamma? Dann ist das Kartoffelschälen nicht ganz so langweilig.«
Die Elfe kicherte und schwang sich auf den Korb. »Deine Tante mag es nicht, wenn ich im Haus bin. Sie hat immer Angst, ich würde überall Brandflecken machen.«
»Tust du ja auch.« Ida warf einen schrägen Blick auf den leicht geschwärzten Rand des Weidenkorbes.
»Er ist allerhöchstens ein wenig angekohlt«, verteidigte sich Fiamma. »Kein Wunder, wenn du ihn die ganze Zeit in der sengenden Sonne stehen lässt!«
Die lachenden Mädchen wurden von der dumpfen Dunkelheit des Kücheneingangs verschluckt und überließen den Obstgarten wieder seiner vorherigen Stille, die nur hin und wieder von dem tiefen Summen einer träge vorbeitorkelnden Hummel und dem leisen Sirren der Grashüpfer gestört wurde. Kein Hauch bewegte die Blätter der Kirschbäume, selbst die Vögel schwiegen ermattet. Eine Vorahnung von Gewitter lag in der drückenden Schwüle der Luft.
Die Nacht brachte keine Erleichterung. Ida saß schlaflos in ihrem Fenster und blickte in den Garten hinaus. Funken tanzten durch die Luft, und der leise Ruf eines Käuzchens wechselte sich ab mit dem monotonen Zirpen der Grillen. Sie drehte den Brief zwischen den Fingern. Inzwischen hatte sie ihn so oft gelesen, dass sie kein Licht mehr brauchte, um sich seinen Inhalt vor Augen zu führen.
Am dritten Tag des Roten Mondes werde ich Sendra erreichen. Wir können uns zur Mittagsstunde am Dorfbrunnen treffen, das ist dir wahrscheinlich angenehmer, als wenn ich zu dir auf den Hof komme. Du wirst mich schon erkennen, allzu viele Fremde tauchen ja sicher nicht im Dorf auf.
Die schwungvolle Unterschrift lautete: Dorkas von Tel'krias, Tochter von Selina.
Gerade neigte sich der zweite Tag im Roten Mond seinem Ende zu. Ida wusste, dass sie in dieser Nacht nur schwer Schlaf finden würde, und das nicht alleine wegen der drückenden Gewitterluft. Sie musste noch einen Vorwand ersinnen, der sie morgen ins Dorf führte; einen Vorwand, der ihrer Tante einleuchtete und ihr genügend Zeit ließ, mit Dorkas von Tel'krias zu sprechen. Oder sollte sie sich einfach davonschleichen? Warum eigentlich nicht, plante sie doch, ihrer Familie noch einen weit größeren Schmerz zuzufügen.
Ida lehnte den Kopf an das warme Holz des Fensterrahmens und starrte hinauf in die Schwärze des Nachthimmels. Kein Stern unterbrach die endlose Dunkelheit, selbst der Mond war hinter einer unsichtbaren Wolkendecke verschwunden. Käuzchen und Grillen schwiegen, es war, als hielte die gesamte Natur den Atem an in Erwartung des ersten Donnerschlags. Ida glaubte, ein leises Grollen in der Ferne zu hören, aber das konnte genauso gut Einbildung sein. »Geh zu Bett, dummes Ding«, schalt sie sich stumm. »Du brauchst morgen einen klaren Kopf!«
Trotz dieser wahren Erkenntnis lag sie noch lange in der stockfinsteren, heißen Kammer, den schweißfeuchten Kopf auf dem mit Steinen gefüllten Kopfkissen, und wälzte sich unglücklich und zu aufgeregt, um Schlaf zu finden, von einer Seite auf die andere. Als in der Morgendämmerung der ersehnte Regen kam, sanft und gänzlich ohne dramatische Ankündigung, saß sie schon wieder in ihrer Fensternische und strich ruhelos den Brief zwischen ihren Fingern glatt.
Am späten Vormittag schlich sie sich davon, als ihre Tante gerade eine der Mägde ausschalt, die in ihrem Ungeschick eine ganze Kanne mit frisch gemolkener Milch umgestoßen und komplett verschüttet hatte. Ida lief über den aufgeweichten Pfad, dass Wasser und Schlamm nur so aufspritzten. Es hatte den ganzen Morgen geregnet, und nun standen
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