AnidA - Trilogie (komplett)
gesund und zufrieden mit deinem Leben? Leg die Herzen zurück, Anna. Sie quälen und beschweren dich, und ihre Verlockung, der du nun zu erliegen drohst, ist eine wahrhaft trügerische. Du hast gehört, was Meister Wilber gesagt hat. Du weißt, dass wir dir nichts Böses wollen und nie etwas zu deinem Nachteil getan haben oder tun werden. Deine Mutter hat dich uns anvertraut, weil sie das wusste. Also bitte ich dich: vertrau auch du uns.«
Annas Schultern sanken herab. Sie schloss kurz und schmerzlich die Augen, dann drehte sie sich zum Tisch um und legte sanft die beiden Herzen in ihr Behältnis zurück.
»So ist es gut«, murmelte der Heiler und nahm Anna in seine Arme. »Komm, mein Kind, lass mich dir helfen, damit du dieses fürchterliche Erlebnis hinter dir lässt und erquicklichen Schlaf findest. Morgen wirst du alles Schreckliche vergessen haben.«
Er führte Anna, die kraftlos in seiner Umarmung lag, zur Liege zurück, bettete sie darauf und legte seine Hand auf ihre Stirn. Mit einem geflüsterten Wort der Kraft senkte er das Mädchen in Schlaf, deckte es zu und blickte dann eine Weile auf das verweinte Gesicht hinab.
»Wir kümmern uns gleich um sie«, rief die Oberste Hexe. »Ich benötige jetzt deine Hilfe bei diesem Werk.«
Der Heiler nickte und kehrte an den Tisch zurück. »Machen wir einen Fehler?«, fragte er leise. »Hätten wir nicht erst sehen sollen, welchen Einfluss das Mädchen möglicherweise auf die Herzen hat?«
Herrad gebot ihm, sich auf den Bann zu konzentrieren. Der Zauber kostete die erschöpften Hexen einiges an Kraft und Zeit, und erst als das Kästchen erneut verschlossen und versiegelt war und die anderen Hexen den Raum verlassen hatten, antwortete die Oberste Hexe auf Wilbers Einwand.
»Wie sollte ein unausgebildetes junges Mädchen etwas bewirken können, was selbst die fähigsten Magier und Hexen der Hierarchie nicht vermögen?« Sie blickte ihn streng an. »Du lässt dich von deinem allzu weichen Herzen und deiner Zuneigung zu Anadia leiten und nicht von deinem Verstand. Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen – etwa Anna die Herzen lassen? Diese machtvollen, gefährlichen Werkzeuge in der Hand eines Kindes? Und dann?«
Der Heiler erwiderte ihren aufgebrachten Blick mit Unbehagen. »Wenn du es so sagst, klingt es sicherlich wie eine große Dummheit«, sagte er leise. »Aber wir können doch nicht wissen, wozu Anna fähig ist. Immerhin ist sie zur Hüterin der Herzen bestimmt worden. Was auch immer der Zweck dessen war und welche Macht darüber entschieden hat ...«
»Wilber, du wiederholst nur alte, längst widerlegte Argumente, und ich bin dessen müde. Wir können ein solches Wagnis nicht eingehen – und ich werde es niemals zulassen, dass irgendjemand Falsches die Herzen in die Hand bekommt, nur weil ein junges Ding sie törichterweise mit sich herumträgt wie billigen Tand!«
Der Heiler zog vor dem Zorn seiner Obersten ein wenig den Kopf ein und verzichtete klugerweise vorerst auf jede weitere Gegenrede.
»Was mache ich mit dem Jungen?«, fragte er, um das Thema zu wechseln. Herrad stieß den Atem aus und setzte sich auf einen Stuhl. Mit matten Bewegungen schenkte sie sich und dem Heiler ein Glas Wasser ein und rieb sich über die Augen.
»Müssen wir jetzt darüber reden?« Sie hob die Hand und schüttelte den Kopf. »Nein, es ist gut. Morgen ist zu viel zu tun, und ich habe dich nun schon zu lange nicht nach seiner Entwicklung gefragt. Was denkst du?«
Meister Wilber blickte ein wenig ratlos auf seine Hände nieder. »Ich bin nicht viel klüger als vor einem Jahr«, gab er zu. »Er ist klug, er ist talentiert, und die magische Begabung, die er geerbt hat, scheint mit jedem Jahr stärker zu werden. Doch ebenso ist er undiszipliniert und ungeduldig. Er interessiert sich vor allem für die dunklen und gefährlichen Seiten der Heilkunst.«
»Wie seine Mutter«, warf die Oberste Hexe ein.
Meister Wilber nickte bekümmert. »Sie hat ihren Irrweg wirklich bereut. Und sie hat den Preis dafür bezahlt.«
»Das mag sein«, gab Herrad scharf zurück. »Den Preis hat leider auch der Junge bezahlt, sieh dir seine Verkrüppelung an. Aber seine Herkunft bedeutet einen unkalkulierbaren Faktor in der Rechnung. Wir wissen kaum etwas über seinen Vater ...«
»Nur das, was seine Mutter uns damals erzählte, als sie zurückkehrte, und das war kümmerlich wenig«, stimmte der Heiler zu.
»Kümmerlich wenig, das stimmt. Und von dem Wenigen habe ich ihr nicht die Hälfte
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