AnidA - Trilogie (komplett)
schmerzender Kopf erfuhr erneut die sanfte Berührung, dann spürte er, wie ein steter Strom von Kraft in sein Inneres floss.
»Das muss reichen«, sagte die Krähe nach einer Weile, und sie klang erschöpft. »Komm jetzt, auf. Du weißt, worauf es ankommt. Es tut mir Leid, dass wir das nicht haben üben können. Du musst versuchen, es jetzt auf Anhieb zu schaffen. Der schwierigste Teil liegt gleich am Anfang: Du musst schnell Höhe gewinnen, also gebrauch deine Flügel! Ich bleibe hinter dir, meine Begleiterin fliegt dir voran. Orientiere dich an ihr – und sei unbesorgt, du schaffst das.«
Korben atmete tief durch und machte sich startbereit. Der Star flatterte auf, auch das ein wenig ungeschickt, schraubte sich hoch und flog dann in Richtung der östlichen Maueröffnung. Korben nahm einen kurzen Anlauf, sprang, schlug kräftig mit den Schwingen und prallte beinahe gegen die Mauer.
»Noch einmal«, befahl die Krähe. »Du musst deine Schwanzfedern zum Steuern einsetzen.«
Wenn Korben noch in menschlicher Gestalt gesteckt hätte, hätte er sich jetzt den Schweiß von der Stirn gewischt. Er ließ seinen Atem ruhiger werden und hob zum zweiten Versuch ab, verzweifelt darauf bedacht, nicht allzu großen Lärm zu verursachen. Trotzdem klatschten seine Flügel so unangenehm laut, dass er fürchtete, die Schlafenden aufzuwecken.
»Konzentrier dich«, fuhr die Krähe ihn an. Sie flog dicht hinter ihm, und oben in der Maueröffnung konnte er schwarz vor der etwas helleren Schwärze des Himmels die Silhouette des Stars sitzen sehen. Er keuchte mit offenem Schnabel, so schwer war es, seinen großen Vogelkörper in die Luft zu befördern. Aber es gelang ihm, er gewann stetig an Höhe, und auch die Richtung, in die er flog, stimmte. Sein Herz schlug so stark, dass er fürchtete, es könne zerspringen, in seinen Adern rauschte das Blut, und die kräftigen Lungen pumpten wie besessen Luft in seinen Körper und wieder hinaus.
Die Mauern des Verlieses zogen quälend langsam an ihm vorbei. Hoch, immer noch ein Stück höher. Seine Flügel wurden lahm. Er keuchte verzweifelt, fürchtete, wieder abzustürzen, aber mit einer letzten gewaltigen Anstrengung hob er sich über das Sims des Fensters und landete schwer neben dem kleinen Vogel, der dort auf ihn wartete. Einen Augenblick musste er sich festklammern, weil ihm schwindelig war vor Anstrengung, und als er schwankte, stützte der kleinere Vogel ihn mit seinem Körper ab. Dann verging der Schwindel, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren wurde leiser, und sein Atem begann sich zu beruhigen.
»Das war der schwierigste Teil«, sagte die Krähe. »Jetzt kannst du dich erst einmal fallen lassen. Breite deine Schwingen so aus«, sie übermittelte ein geistiges Bild und ein Gefühl von Spannung. »Wir fliegen eine Kurve mit dem Wind, also erst einmal Richtung äußeres Hafenbecken. Diesmal fliege ich voraus, also passt auf. Wenn du so weit bist, sag Bescheid.«
Korben nickte. »Von mir aus kann es losgehen.«
Die Krähe breitete ohne ein weiteres Wort die Schwingen aus und ließ sich vom Sims fallen. Elegant segelte sie durch die nächtliche Luft, und Korben sah fasziniert zu, bis der kleinere Vogel ihm einen unsanften Schubs gab. Er breitete die Flügel aus, zögerte kurz vor der Tiefe, die ihm entgegengähnte, und sprang. Der Luftstrom, der ihm von unten entgegenkam, hob ihn sanft empor und trug ihn. Er lachte vor Freude und vernahm in seinem Kopf die lautlose Antwort der Krähe. Zu Anfang war sein Flug noch wackelig, aber mit jedem Schlag seiner Flügel wurde er sicherer, und bald war ihm, als hätte er sich nie anders fortbewegt. Die nächtliche Stadt zog unter ihm vorbei wie in seinem Traum. Eine kurze Strecke flogen sie über Wasser – das äußere Hafenbecken –, dann folgte eine weite Kurve, und die Krähe nahm Kurs auf das Hafenviertel.
Als sie die Gartenmauer überflogen, bedauerte Korben, dass der Flug zu Ende war, aber dann spürte er seine Erschöpfung und plumpste wenig elegant neben der Krähe aufs Gras.
»Gut gemacht, alle beide«, lobte sie und verwandelte sich mit einem Zwinkern zurück in ihre menschliche Gestalt. Korben tat es ihr nach, und als er die Verwandlung bewältigt hatte, sah er mit Erstaunen, wer da neben ihm im Gras hockte und ihn erschöpft und zufrieden anlächelte.
»Anna«, er nahm ihre Hand, um sich zu vergewissern, dass sie kein Trugbild war. »Wieso bist du ... Aber ich dachte, du kannst nicht ...«
»Kommt ins Haus«, unterbrach ihn
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