AnidA - Trilogie (komplett)
hatte.
Aber weder ihre Magie noch die der anderen Ratsmitglieder hatte Erfolg gezeitigt. Dagegen schien die schlichte Suche in der Unterstadt, die der Hochmeister geleitet hatte, nun endlich zu einem Ergebnis geführt zu haben.
»Wir sind den Gerüchten gefolgt, dass es noch einen Schwarzen Magier im Hafenviertel geben soll. Das Haus, auf das wir schließlich gestoßen sind, stand leer, offensichtlich schon seit einigen Tagen, aber wir haben ein paar Dinge darin gefunden, die uns zu denken gegeben haben.«
Er legte einige Gegenstände auf den Tisch: ein paar zerlumpte, vor Schmutz starrende Kleider, einen unscheinbaren Stein, einige schillernde Federn, die einem dafür empfänglichen Auge deutlich ihren Zauber offenbarten.
»Die Lumpen?«, fragte Herrad verwundert und hob mit spitzen Fingern einen Fetzen an.
Der Hochmeister setzte sich mit steifen Knochen und knackenden Gelenken und stöhnte leise. »Wir haben unsere Ohren für alle seltsamen Vorkommnisse in der Stadt offen gehalten. Vor ein paar Tagen ist ein Gefangener auf unerklärliche Weise aus der Festung entkommen. Meine Leute haben sich mit den Wachen unterhalten. So, wie es aussieht, gehört der junge Mann hier zum Ordenshaus, ein Lehrling. Verkrüppeltes Bein, deformierte Schulter ...«
Herrad riss die Augen auf. »Korben«, flüsterte sie. »Anna ist mit ihm befreundet.«
Der Hochmeister deutete auf die Lumpen. »Das Zeichen Eurer Wäscherei ist in einem der Kleidungsstücke zu finden. Die Sachen scheinen dem entflohenen Gefangenen zu gehören.«
Die Oberste Hexe starrte auf den Kleiderhaufen. »Aber was bedeutet das alles?«, fragte sie niemanden im Besonderen. Dann schüttelte sie den Kopf und nahm den kleinen Stein in die Hand. »Ein Rufstein. Und Federn, die einem unbekannten Zweck gedient haben, der ganz offensichtlich magischer Natur war.« Sie seufzte. »Gut, in diesem Haus wohnt oder wohnte ein Magier ...«
»Eine Frau«, warf der Hochmeister ein. »Das haben jedenfalls die Nachbarn gesagt.«
»Eine Magierin. Gerüchte bestätigen, dass es sich um eine Schwarze Hexe handeln soll. Außerdem hat sich in diesem Haus ein Laienmitglied meines Ordens aufgehalten, das, aus welchen Gründen auch immer, in der Festung inhaftiert war und von dort entflohen ist.« Sie senkte den Kopf in die Hände. »Wo sind die Herzen? Und wo ist Anna? Hat der Schwarze Orden sie am Ende entführt?«
»Wir werden sie finden«, sagte der Hochmeister fest. »Meine Ritter schwärmen aus und drehen, wenn es sein muss, jeden Stein auf dieser Welt um, bis die Verlorenen gefunden sind. Das verspreche ich Euch!«
~ 14 ~
So beschwerlich ihre Reise zu Anfang auch gewesen war – je näher sie ihrem Ziel kamen, desto gründlicher gerieten die Strapazen in Vergessenheit. Nach der ersten Nacht hatten sie auf Jinqx' Rat hin darauf verzichtet, während ihrer Pausen wieder in ihre menschliche Gestalt zu wechseln, und das hatte ihnen alles Weitere nicht nur sehr erleichtert, sondern geradezu zu einem Vergnügen gemacht. Es war herrlich, durch die klare Luft zu segeln, mit kräftigen Muskeln die beinahe unermüdlichen Schwingen zu bewegen und unter sich die weite Landschaft vorüberziehen zu sehen. Es gab lange Zeiträume, in denen Anna an nichts mehr dachte, nur noch das Gefühl genoss, zu fliegen, zu atmen, die Sonne und den Wind zu spüren und sich dem Da-Sein hinzugeben, ohne Sorgen und ohne Angst.
Neben ihr flog der Rabe, der Korben war, und auch ihm schien diese Art des Reisens überaus zu gefallen. Manchmal drehte er den Kopf und zwinkerte ihr zu, und das war wie ein Lächeln, das Anna gern erwiderte.
Fast hätte sie es bedauert, sich dem Ende der Reise zu nähern, aber als sie erkannte, wohin Jinqx sie führte, gewann doch die Vorfreude die Oberhand. Als die ersten Ausläufer des riesigen Grennach-Waldgebietes vor ihnen auftauchten, klopfte ihr Herz so stark, dass sie es in jeder Faser ihres Vogelkörpers spüren konnte. Sie flogen einen ganzen Tag über einer geschlossenen Decke aus Wipfeln, dann erschienen am Horizont die ersten Baumriesen. Anna stieß einen lauten Ruf aus, den Jinqx, vor ihr fliegend, ebenso laut erwiderte.
Die letzte Nacht ihrer Reise verbrachten sie schon in Sichtweite des Großen Nestes. Annas Ungeduld war so groß, dass sie am liebsten noch in der Nacht weitergeflogen wäre, aber die Krähe ließ es nicht zu. »Unsere Flügel sind müde, und der Weg ist noch ein ganzes Stück länger, als er dir in deiner Ungeduld erscheint. Lass uns ausruhen
Weitere Kostenlose Bücher