AnidA - Trilogie (komplett)
die Krähe, die nicht minder erschöpft aussah als Anna. »Wir brauchen alle etwas zu essen und ein paar Stunden Schlaf. Lasst uns nicht säumen! Miteinander reden könnt ihr später immer noch und in aller Ruhe. Aber erst einmal müssen wir zusehen, dass wir so schnell wie möglich von hier wegkommen.« Korben und Anna tuschelten noch eine Weile miteinander, als sie schließlich in dem leeren Zimmer unter ihren Decken lagen. Jinqx hatte es sich in der Küche in ihrem Lehnstuhl bequem gemacht, weil sie nicht schlafen wollte oder konnte. Durch den Türspalt zog ab und zu ein Wölkchen aromatischen Tabakduftes, und gelegentlich war das leise Klappern der Teekanne zu vernehmen.
»Du bist also eine Schwarze Hexe«, stellte Korben mit Genugtuung in der Stimme fest. »Kein Wunder, dass du im Weißen Orden nicht zurechtgekommen bist.«
Anna öffnete den Mund zum Protest und schloss ihn gleich darauf wieder. »Ich weiß nicht, was ich bin«, erwiderte sie nachdenklich. »Ich bin nur froh, dass du hier bist, und sehr, sehr gespannt darauf, wie es nun weitergeht. Und weißt du was?« Sie richtete sich ein wenig auf, und ihre Augen blitzten hell in dem dämmrigen Raum. Korben, das Gesicht in die Hand gestützt, sah sie erwartungsvoll an. »Wir wissen nicht, was aus uns werden wird, ich verfüge plötzlich über magische Kräfte, die ich nie besessen habe, kann mich sogar in einen Vogel verwandeln, die Herzen sind verschwunden, nachdem ich sie gestohlen habe«, sie musste tief Luft holen, und Korben lächelte über ihre Aufregung, obwohl auch sein Herz schneller schlug, »und ich habe überhaupt keine Angst«, schloss Anna laut triumphierend.
»Gebt ihr bald mal Ruhe da drüben«, dröhnte die tiefe Stimme der Krähe. »Ihr sollt schlafen! Wir müssen spätestens bei Tagesanbruch fort sein!«
Anna verschwand unter ihrer Decke, und Korben hörte ihr unterdrücktes Lachen. Er grinste, klopfte an der Stelle, wo er ihre Schulter vermutete, auf Annas Deckenberg und zog sich selbst die Decke über die Ohren. Jinqx hatte Recht, sie mussten jetzt wirklich schlafen. Und kaum hatte er das gedacht, war er auch schon fest eingeschlummert.
Die Morgendämmerung kam viel zu früh. Anna jammerte und Korben stöhnte, als die feste Hand der Krähe beide schüttelte und ihnen die Decken von den fröstelnden Leibern zog. »Auf, ich habe Kribb gekocht.«
Taumelnd kam Anna auf die Beine und griff dankbar nach dem dampfenden Becher. Am ersten Schluck verbrannte sie sich Zunge und Gaumen, aber die Wärme, die das Getränk alsbald durch ihre Glieder strömen ließ, entschädigte sie dafür. Das Fenster war beschlagen, und als die Krähe es aufstieß, kam ein Strom frischer kalter Luft herein. Korben zog sich die Decke um die zitternden Schultern und umklammerte den Becher. Sein zerzaustes Haar stand wild in die Luft, und er bot einen recht erbärmlichen Anblick.
»Du riechst«, rümpfte Anna die Nase.
»Du an meiner Stelle würdest auch ›riechen‹«, gab er beleidigt zurück. »Wir hatten wenig Gelegenheit, uns zu waschen ... da drinnen.«
»Draußen im Garten ist eine Pumpe, dort findet ihr auch Seife«, rief Jinqx durch die Tür. »Kommt ans Feuer, wenn ihr euch gewaschen habt.«
Anna schnitt eine Grimasse, die Korben stumm erwiderte. Sie standen auf, zogen die Decken eng um sich und gingen in den erwachenden Garten.
Die ersten Sonnenstrahlen tanzten durch das Fenster, als sie endlich mit nassen Haaren und dampfend in der Wärme vor dem Herdfeuer saßen. Jinqx hatte Korbens zerlumptes Zeug durch einige alte, aber saubere Kleidungsstücke ersetzt und betastete nun vorsichtig seinen Kopf. »Ich bin keine Heilerin«, sagte sie, »aber ich denke, du hast keinen Schaden davongetragen. Was machen deine Kopfschmerzen?«
»Sind auszuhalten«, gab der junge Mann zurück. »Und sie werden uns nicht behindern.«
»Dann können wir aufbrechen.«
»Wohin werden wir gehen?«, fragte Anna leise.
Die Krähe lächelte kurz. »Nach Hause«, sagte sie sanft. Hochmeister Rafiels Augen lagen tief und von dunklen Schatten umgeben in ihren Höhlen, und seine Kleider sahen aus, als hätte er sie nicht nur tagelang getragen, sondern auch noch mehrmals in ihnen übernachtet. Die Oberste Hexe bot keinen sehr viel besseren Anblick – es waren nur wenige, unbedeutende Stunden Schlaf, die sie sich gegönnt hatte, ehe sie wieder mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, nach dem Aufenthaltsort der Herzen und der verfluchten Schwarzen Magierin gesucht
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