AnidA - Trilogie (komplett)
nahm ihr den Apfel von der Hand. Dann trottete sie friedlich zur Stalltür hinaus und ließ sich eine Decke auf den stämmigen Rücken binden.
»Reitest du ohne Sattel?«, fragte Ida neugierig.
Mellis hob einen prall gefüllten Rucksack vom Boden auf und antwortete vergnügt: »Hast du schon einmal versucht, eine Bergeselin zu satteln? Außerdem kann ich mit so einem Ding ohnehin nicht reiten. Mein Schweif klemmt sich immer daran fest.«
Ida sah zu, wie sie den Rucksack schulterte, und bot ihr an: »Soll ich ihn dir abnehmen? Ich kann ihn noch an Kastanies Sattel festschnallen.«
Mellis dankte ihr überrascht und wandte sich zu Dorkas um, die gerade herzlich Abschied von der Wirtin nahm. Matelda hatte es sich nicht nehmen lassen, ihren scheidenden Freundinnen einen Imbiss zu bereiten und ihnen auch noch ein liebevoll gepacktes Proviantbündel mit auf den Weg zu geben.
»Also los«, sagte Dorkas und schwang sich in den Sattel. Ida und Mellis verabschiedeten sich von Matelda und folgten der Gildenfrau vom Hof. Erste zaghafte Strahlen der aufgehenden Sonne bahnten sich ihren Weg durch den Nebel, der die Landschaft rundum in ein stilles weißes Tuch hüllte. Der Hufschlag ihrer Reittiere klang seltsam gedämpft und war der einzige Laut, der neben dem leisen Glucksen des fließenden Wassers, dem sie folgten, die Stille des frühen Tages störte. Sie ritten eine ganze Weile schweigend nach Norden. Kastanie trabte munter neben Dorkas' Grauschimmel her, und die zottelige Eselin Yole gab sich alle Mühe, den beiden hochbeinigen Pferden zu folgen. Der Nebel hob sich nur sehr zögernd, je weiter der Tag fortschritt.
Gegen Mittag rasteten sie kurz am Fuße eines mit Haselnußsträuchern bewachsenen Hügels. Ida kletterte den sanften Hang hinauf, um nach Nüssen zu suchen, aber sie fand sie noch grün und unreif. Stattdessen kehrte sie mit zwei Händen voller Brombeeren zurück, die sie zwischen den Nusssträuchern gefunden hatte. Dorkas und Mellis ließen sich die Beeren schmecken, dann mahnte Dorkas zum Aufbruch.
»Wir sind kurz vor der Grenze«, betonte Mellis. »Seid ruhig, ich bitte euch. Ich nehme zwar nicht an, dass wir einer Patrouille in die Arme laufen werden, das wäre ein dummer Zufall, aber wir wollen lieber nicht unvorsichtig sein.«
Sie bestiegen ihre Tiere und folgten Mellis, die nun vorausritt. Der Nebel schien wieder dichter zu werden, stellte Ida fest. Die Sonne war bald nur noch als fahlgelber Fleck am Himmel zu erkennen. Nach einer schweigsamen halben Stunde ließ Mellis sie anhalten.
»Da vorne«, hauchte sie und deutete mit ihrem Zeigefinger in den Nebel. Ida strengte ihre Augen an, aber sie konnte nicht erkennen, was Mellis ihnen zeigen wollte. Als die beiden anderen Frauen abstiegen, tat sie es ihnen nach. Die Pferde blieben folgsam am Platz stehen und begannen zu grasen, nur die Eselin wollte der Grennach folgen. Mellis wies sie mit einigen scharfen Worten zurecht. Yole schlug beleidigt mit ihrem Quastenschwanz, aber sie gehorchte.
Sie schritten nebeneinander den Pfad entlang und näherten sich einer grauweißen, undurchdringlichen Nebelbank. Mellis blieb davor stehen und sah Dorkas an. Dorkas nickte und bedeutete Ida, zurückzubleiben. Sie zog einen langen Dolch aus der Scheide, die sie um ihr Bein geschnallt trug, und gab Mellis stumm ein Zeichen. Die Grennach griff in ihren Ausschnitt, holte eine Kette mit einem seltsam geformten Anhänger hervor und ballte ihre Faust darum. Dann trat sie entschlossen vor und verschwand in dem dichten Nebel. Dorkas blieb mit unbehaglicher Miene zurück, den Dolch in ihrer Hand.
Die Minuten dehnten sich wie zäher Honig. Hinter ihnen schnaubte gedämpft eines der Pferde, aber sonst blieb alles still. Dann endlich erschien ein undeutlicher Schemen in dem Nebel und verdichtete sich zu der Gestalt der kleinen Grennach. »Wir können gehen«, sagte sie knapp und erschöpft.
Dorkas gehorchte stumm und fragte erst, als sie ihre Tiere bestiegen und etliche Meter zwischen sich und die Nebelwand gebracht hatten: »Und, was hast du erreicht?«
»Nichts«, erwiderte Mellis. »Es war keine Nachricht da. Und es schien auch niemand in der Nähe gewesen zu sein.«
»Das wird Catriona nicht gefallen«, murmelte Dorkas.
»Wir mussten damit rechnen«, sagte Mellis. »Leja arbeitet auf sehr unsicherem Grund. Hoffentlich ist sie nicht von den Protektoren erwischt worden.«
Ida sah fragend von einer zur anderen. Beide Frauen brüteten stumm vor sich hin und schienen die
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