AnidA - Trilogie (komplett)
ganze Zeit geweigert hat, mich zu unterrichten. Aber um mich aus dem Kerker zu holen, musste sie mir zeigen, wie ich meine Kräfte anwenden kann – und jetzt, meint sie, kann sie mich nicht halb ausgebildet durch die Welt stolpern und Unheil anrichten lassen.« Er schnitt eine Grimasse. »Nicht sehr schmeichelhaft für mich«, fügte er bitter hinzu.
Anna sah ihn aufmerksam an. »Dein Vater war der Grund für ihre Weigerung?«, wiederholte sie fragend seine Worte.
Korben sah sie nicht an. Er stocherte mit unglücklicher Miene in einem Astloch herum und schien mit sich zu ringen. Dann holte er tief Luft und erzählte Anna, was er von der Krähe erfahren hatte.
Anna lauschte mit großen Augen und ohne ihn zu unterbrechen. Als er geendet hatte, schwieg sie eine ganze Weile und starrte hinunter auf das Blätterdach des Waldes. Korben hockte mit unglücklicher Miene neben ihr und riss kleine Fetzen von der Rinde des Baumes ab.
»Welch eine Geschichte«, rief sie endlich aus und schüttelte den Kopf. »Ich kann mir vorstellen, dass du daran erst einmal zu schlucken hattest. Aber warum hast du mir das alles nicht früher erzählt?« Sie stockte und fügte mit Vorwurf in der Stimme hinzu: »Und warum hat Jinqx dir nicht früher davon erzählt?!«
Korben lächelte schwach. »Sie wollte wohl keine schlafenden Hunde wecken«, sagte er ironisch. »Die Sache mit meinem Vater hat ihr einen großen Schrecken eingejagt. Sie fühlt sich schuldig – und sie war besorgt, dass ich in seine Fußstapfen treten könnte, wenn ich einmal ein voll ausgebildeter Magier sein würde. Sie hatte Angst, Anna. Mein Vater hat ihr einen mörderischen Schrecken eingejagt – auch mit seinen Worten ›die Welt werde vor mir zittern‹.« Er schnaubte. »Vor mir! Genauso gut könnte die Welt schon mal anfangen, vor meinem Bruder zu zittern – dem mächtigen und furchtbaren Tee- und Gewürzhändler!«
Anna verschluckte sich und musste husten. Als sie wieder bei Atem war, keuchte sie: »Du und Mika – dass ihr wahrhaftig Brüder seid! Ich kann es kaum glauben.«
»Ich habe auch Mühe, mich an den Gedanken zu gewöhnen.« Korben seufzte. »Und daran, dass ich einen Großvater habe, den ich nicht kenne und der auf einer anderen Welt lebt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich gäbe meinen gesunden Fuß dafür, ihn einmal sehen zu können.«
Anna strich ihm sacht über die Schulter. »Warte doch ab«, flüsterte sie. »Wenn Jinqx dir alles beibringt, was sie weiß – vielleicht kann sie dich dann auch einmal zu ihm bringen. Oder du bist in der Lage, aus eigener Kraft zu ihm reisen. Das ist doch jetzt alles möglich.«
Korben lächelte sie an. »Du hast Recht«, sagte er mit neuer Zuversicht. »Es geht doch alles den Weg, den ich mir gewünscht habe, also warum blase ich Trübsal? Ich bin gespannt darauf, was Jinqx mir noch alles über meine Familie erzählen wird.« Sein Gesicht bewölkte sich wieder ein wenig, als er an seinen Vater dachte, aber dann lächelte er und gab Anna einen Stoß. »Los, ich habe keine Lust mehr, hier herumzuhocken. Hast du vergessen, dass man da unten nach dir schreit?«
Anna lachte und stand leichtfüßig auf. Sie streckte sich und ließ sich dann geschickt auf einen tieferen Ast fallen. Korben schluckte und schloss die Augen.
»Du hast Recht, wir nehmen die Abkürzung«, rief Anna. »Es ist leichter, als es aussieht. Gib mir deine Hand.«
Mit ihrer Hilfe rettete sich Korben – wenn auch mit weichen Knien – in die tiefer gelegenen, dichteren Regionen der Baumkrone, wo die Äste breiter waren und gleichzeitig näher beieinander lagen. Korben schnaufte erleichtert und lehnte sich gegen einen festen Ast. Zwei halbwüchsige Grennach-Mädchen, die vorbeikamen, stießen sich an und kicherten leise, was Korben zu einer finsteren Grimasse veranlasste. Die Mädchen lachten lauter und tauchten halsbrecherisch an ihm vorbei in das Gewirr der Äste und Zweige. Korben sah ihnen mit einem leisen Schaudern nach.
»Ich habe mich zu Anfang auch nicht von den Hauptästen heruntergetraut«, sagte Anna, »aber man wird schnell mutiger.«
Korben wischte sich übers Gesicht. »Ich bin jetzt hier, und ich werde zurechtkommen.«
»Das wirst du«, sagte Anna überzeugt. Sie blickte sich um und krauste die Stirn. »Jetzt werde ich mich wohl oder übel stellen müssen. Wer hat nach mir gesucht, und wo soll ich hinkommen?«
Jinqx lehnte mit lang ausgestreckten Beinen in einem Fleckchen Sonne, das sich durch die Blätter stahl, und rauchte
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