AnidA - Trilogie (komplett)
an die Herzen dachte, blitzte in ihrem Augenwinkel etwas auf und erlosch gleich darauf wieder. Sie fuhr herum – oder glaubte es zumindest. Da war nichts. Die Herzen. Anna konzentrierte sich darauf, wie sie in ihrer Hand gelegen hatten – wieder ein Aufblitzen, und wieder erlosch es im nächsten Moment. Sie stöhnte enttäuscht und versuchte, das Licht erneut herbeizuzwingen. Und wieder. Und wieder ...
Jemand hielt sie an den Schultern gepackt, und jemand anderes wischte ihr Gesicht mit etwas Nassem ab. Anna drehte den Kopf weg.
»Hörst du mich?«, fragte eine Stimme drängend. »Anna. Kannst du mich hören?«
Sie hob matt eine Hand und öffnete die Augen. Besorgte Gesichter starrten auf sie hinab. »Was ist los?«, fragte sie undeutlich.
Mellis, die vor ihr kniete, ließ sich auf die Fersen zurücksinken und seufzte erleichtert. Jinqx nahm ihre Hände von Annas Schultern und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Du warst zu lange sehr weit weg«, sagte sie leise. »Wir hatten große Sorge, dass du nicht zurückfinden würdest.«
Anna ächzte und setzte sich auf. Ihr war schwindelig und übel, und sie war so erschöpft, als wäre sie ohne Pause den ganzen Weg von der Residenz zum Großen Nest geflogen.
»Kannst du uns sagen, was geschehen ist?«, fragte Jinqx. Mellis blickte sie missbilligend an, aber die Grennach-Älteste hinderte sie mit einer strengen Handbewegung daran, etwas einzuwenden, und beugte sich aufmerksam vor.
Anna schloss die Augen. »Ich war drinnen«, begann sie zögernd. »Es war dunkel und leer. Aber da war etwas außer mir, und ich habe versucht, es zu finden.«
Sie riss die Augen auf. »Die Herzen«, flüsterte sie. »Ich habe sie gespürt. Sie sind nicht fort, aber ich kann sie nicht erreichen. Meine Kraft reicht dafür nicht aus. Ich habe es versucht, immer wieder, aber ich habe es nicht geschafft.« Sie barg das Gesicht in den Händen.
»Das ist eine gute Nachricht«, sagte Jinqx. Anna sah sie verblüfft an. »Wenn du die Herzen so weit fortgeschickt hättest, dass du sie nicht mehr hättest finden können, wäre das schlimm gewesen. Jetzt wissen wir, dass sie noch da sind – alles Weitere wird sich finden.«
Anna blickte sie zweifelnd an, doch Tallis tätschelte ihr aufmunternd die Hand. »Die Krähe hat Recht«, sagte sie. »Jetzt, da wir wissen, wo sich die Herzen verbergen, können wir dir helfen. Also sei guten Mutes, Kind.« Sie blickte ihre Tochter an, und Mellis erhob sich.
»Kannst du laufen?«, fragte sie Anna. »Oder sollen wir dir hier ein Lager herrichten? Du musst dich jetzt ausruhen.«
Anna stand mit wackeligen Beinen auf. »Es geht. Danke. Ihr habt Recht, ich muss schlafen.« Sie wagte ein zittriges Lächeln. »Das ist alles sehr neu für mich.«
Jinqx legte ihr tröstend eine Hand auf den Rücken und geleitete sie zu ihrem Schlafnest. Sie sprachen während des Wegs nicht miteinander, aber als Anna in ihrer Schlafmulde lag, setzte sich die Krähe noch eine Weile neben sie.
»Ich kann mich kaum an den Gedanken gewöhnen, dass mir meine magischen Kräfte jetzt endlich zur Verfügung stehen«, flüsterte Anna. »All die Jahre im Orden bin ich fast daran verzweifelt, ständig zu versagen. Das ist jetzt vorbei, oder?« Jinqx nickte. Anna richtete sich auf und sah die Krähe eindringlich an. »Korben sagt, ich sei eine Schwarze Hexe. Hat er Recht?«
Die Krähe lächelte schmal. »Korben ist ein kluger Junge, und ich denke, ich werde mich in der nächsten Zeit ein wenig um ihn kümmern – schon, damit er keine Dummheiten macht. Aber er vereinfacht die Dinge gern ein wenig. So simpel ist es nicht ...« Sie verstummte und starrte blicklos vor sich hin. Dann sprach sie leise weiter: »Die meisten Menschen sehen gern nur die Oberfläche dessen, was ist. Das unterscheidet sie von den Grennach. Die Grennach denken vielschichtiger und komplizierter – und kommen damit sicherlich der Wirklichkeit näher. Magie ist etwas, das Menschen nie wirklich begriffen oder beherrscht haben. Dieser Unsinn mit weiß und schwarz und grau beweist das.«
»Aber Ihr selbst macht es doch nicht anders«, protestierte Anna, die plötzlich gar nicht mehr müde war.
Jinqx verzog das Gesicht. »Ich war eine Hexe des Schwarzen Ordens. Ich bin seit langem seine Oberste Hexe – es sind ja nicht mehr allzu viele von uns übrig. Aber ich habe gelernt – und daran haben die Herzen ihren Anteil. Die Herzen sind Grennach-Magie, und gleichzeitig, wie jede starke Magie, viel mehr als das. Sie
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