AnidA - Trilogie (komplett)
Händen.
»Stimmt diese Geschichte?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Stimmen alte Legenden?«, fragte Mellis zurück. »Es ist die älteste Geschichte, die mein Volk sich erzählt. Wer weiß, was daran wahr gewesen ist. Wahr allerdings ist die Existenz der fünf Herzen. Drei von ihnen gingen in den Jahrhunderten verloren, das letzte während des Krieges gegen den Nebelhort. Der Orden vom Herzen der Welt hat sich der Suche nach ihnen verschrieben, aber sie fanden keines davon. Die Weiße Schwesternschaft sucht auf geistigen Wegen nach ihnen, aber auch sie waren bisher erfolglos. Und mein Volk, die ›Kletterer‹«, sie lächelte, »wir bemühen uns seither, die Schmuckstücke wieder zu schaffen. Unsere besten Silberschmiedinnen arbeiten daran, aber auch wir haben wenig Glück.«
»Die beiden Herzen, die nicht verlorengegangen sind. Wo sind sie?«
»Eines, das Herz der Erde, wird im Großen Nest gehütet. Und das Herz aus Feuer bewachen seit langer Zeit die Feuerelfen.«
»Hättet ihr endlich die Güte, mit dem Schwatzen aufzuhören und euch hinzulegen?«, unterbrach Dorkas' unwirsche Stimme ihr gedämpftes Gespräch. »Ich versuche schon seit Stunden, zu schlafen, falls euch das entgangen sein sollte.«
»Du übertreibst wieder einmal maßlos, meine Gute«, erwiderte Mellis freundlich, aber sie rollte sich folgsam in ihre Decke. Ida tat es ihr nach.
»Du erzählst mir morgen mehr davon?«, bat sie flüsternd. Mellis nickte und schloss die Augen. Ida legte sich auf den Rücken und blickte in den sternklaren Himmel. Was hatte ihre Tante ihr über die Schöpfer erzählt? Sie bemühte sich, es in Einklang mit der Sage zu bringen, die Mellis ihr erzählt hatte. Die Schöpfer waren Wesen, die sich jeder menschlichen Beschreibung entzogen. Sie hatten die Welt und alles, was auf ihr lebte, geschaffen und waren dann zu den Sternen weitergezogen. Welche der beiden Geschichten mochte nun stimmen? Die der Grennach oder die der Menschen? Oder gab es gar eine Wahrheit, die jenseits dieser beiden Mythen lag?
Ida seufzte leise. Eine schmale Hand tastete nach ihr, und die dunkle Stimme der Grennach hauchte: »Schlaf, Kind. Wir haben morgen noch einen langen Ritt vor uns.«
Eddy
~ 6 ~
Es war einer dieser grauen, nieseligen Tage, an denen ich es wirklich bedauerte, keinen Platz zu haben, an den ich hätte flüchten können, um ein heißes Bad zu nehmen und mich in meinem eigenen weichen, warmen Bett zusammenzurollen. Stattdessen stand ich an einer zugigen Straßenecke, hatte die klammen Hände in den Taschen meiner zerschlissenen Lederjacke vergraben und fror erbärmlich in den für diese Jahreszeit viel zu dünnen Hosen. Fast wünschte ich mir, von den Roten aufgesammelt zu werden und die nächsten Tage wegen Herumstreunens im Bau verbringen zu müssen – aber nur fast.
Kleine kalte Füße kratzten über mein Schlüsselbein. Eine zarte rosafarbene Nase rümpfte sich zitternd aus dem Kragen meines Pullovers, und schwarze Augen spähten aufmerksam in den Nieselregen hinaus. Ich tippte zärtlich auf die neugierige Nase. »Bleib bloß drinnen, Chloe. Das ist kein Wetter für dich.« Der braunweiß gefleckte Kopf zog sich zurück, nicht ohne ein missbilligendes Fiepen von sich gegeben zu haben. Natürlich gab sie mir wieder mal die Schuld an der ungemütlichen Nässe, die immer dichter vom bleigrauen Himmel sprühte. Ich spürte, wie die Kleine sich den Weg hinab zu meinem Hosenbund bahnte, wo sie es sich in meinem ausgeleierten Pullover gemütlich machte. Seufzend streichelte ich über die warme Beule, die sie über meinem leeren Magen verursachte, und entschied, einen Abstecher zum Shuttlebahnhof zu machen. Weniger als hier konnte dort auch nicht los sein.
»Eddy«, rief jemand hinter mir her. Ich ging etwas langsamer weiter und hörte, wie sich platschende Schritte eilig näherten. »Eddy, warte doch!« Jetzt hatte ich die Stimme erkannt, sie gehörte Dix, dem Kapper. Missmutig blieb ich stehen und wandte mich um, während es nass in meinen Kragen tropfte.
»Hi, Eddy«, japste er und schüttelte den Fuß aus, mit dem er gerade durch eine tiefe Pfütze getrampelt war. »Gehst du zum Bahnhof?«
»Yep«, erwiderte ich mürrisch und stiefelte wieder los. Dix trottete auf krummen Beinen neben mir her und sah aus seinen Dackelaugen treuherzig zu mir auf.
»Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme?« Er grinste, wobei er sein äußerst lückenhaftes Gebiss enthüllte, und bot mir einen Kokaugummi an. Ich lehnte ab. Kokau
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