Anidas Prophezeiung
Die junge Frau erklärte sich, wenn auch mürrisch, dazu bereit, sich einem Pferderücken anzuvertrauen und mit den beiden Frauen in das nördlich gelegene Grennach-Gebiet zu reisen. Natürlich bestand Dix, der sich als Eddys selbst ernannter Beschützer zu fühlen schien, darauf, sie zu begleiten, und Mellis lachte und sagte, dass sie sich unmöglich das Schauspiel entgehen lassen wollte, wie Dix alle zehn Meter vom Pferd flog. Die beiden zankten sich gut gelaunt noch eine Weile darüber, während die anderen die Reise besprachen.
Später zog Ylenia Ida beiseite und bat sie noch einmal, wenigstens zu warten, bis sie aus Tel'krinem zurück sei. Ida schüttelte nur den Kopf und verwies auf das Schlusswort in Martens Brief: »Ich empfehle Euch, nicht zu lange zu warten, Prinzessin. Der Nebel nähert sich bereits dem Rand von Korlebek. Ich weiß nicht, wie lange mein Wirtshaus noch auf dieser Seite der Grenze stehen wird.«
Ylenia schickte sich wohl oder übel in die Sache. »Da du, wie ich dich kenne, ablehnen wirst, dich von einer oder zwei meiner Frauen begleiten zu lassen ...«
»Es hat keinen Sinn, Tante Ylen«, unterbrach Ida sie gleich wieder. »Dieser Wirt ist einer der misstrauischsten Menschen, die ich kenne. Wenn ich mit Begleitung bei ihm aufkreuze, wird er so verschlossen sein wie die Geldkassette eines Geizkragens. Ich danke dir, aber ich komme alleine klar.«
»Gut«, willigte Ylenia ein. »Du tust ja ohnehin, was du für richtig hältst. Aber sei vorsichtig, Ida. Und zeig ihm um der Schöpfer willen die Herzen nicht!«
Eddy hatte sich in den Tagen, die sie noch zusammen im Ordenshaus verbracht hatten, ihrer Schwester gegenüber immer noch recht unfreundlich gegeben, sich aber nicht mehr ganz so feindselig benommen wie zu Anfang. Bei ihrem Abschied wünschte sie Ida sogar etwas reserviert eine gute Reise.
Ida durchquerte die Ewigkeitsberge und beglückwünschte sich die ganze Zeit, dass sie dies im Frühjahr, auf einem Pferderücken und über einen der niedrigen Pässe tun konnte. Ihr Gipfelabenteuer steckte ihr noch kalt und erschreckend in den Knochen, obwohl die Erinnerung daran gnädig verschwommen blieb. Jetzt folgte sie schon seit einem Tag wieder dem Falkenfluss und erkannte den Weg wieder, den sie bei ihrer ersten Reise hierher entlanggekommen war. Sie musste noch einen Hügel überqueren, dann würde sie die friedlichen roten Dächer von Korlebek vor sich liegen sehen.
Auf der Kuppe des Hügels zügelte sie ihr Pferd und orientierte sich. Doch als sie das Städtchen erblickte, schrak sie heftig zusammen, und ihre Stute trat unruhig einige Schritte vor. »Ruhig, Nebel«, sagte Ida mit belegter Stimme. »Ganz ruhig.«
»›Nebel‹, das ist heutzutage ein verdammt unpassender Name in dieser Gegend«, brummte der Felsen neben ihr mit tiefer Stimme. Ida sprang aus dem Sattel. Sie umrundete den Findling und stieß auf einen zweiten riesigen Klotz, diesmal aus Fleisch und Blut, der zusammengesunken auf einem Stein hockte und trübselig auf Korlebek blickte.
»Hallo Marten«, sagte sie und hockte sich neben ihn. »Zu Euch wollte ich.«
»Ist das nicht eine Schande«, sagte er, ohne ihre Worte zu beachten. Seine hellen Augen waren blutunterlaufen. Bartstoppeln bedeckten seine massigen Kinne. Mit einer unbestimmten Geste wies der Wirt auf die Stadt. Ida blickte unbehaglich hin. Die Nebelgrenze hatte schon fast die Hälfte der Häuser verschlungen, und es schien, als würde sie sich in diesem Augenblick vor ihren Augen zentimeterweise weiter vorbewegen, lautlos, tückisch und schleichend.
»Ich sitz' schon den ganzen Tag hier und seh' mir das traurige Schauspiel an«, fuhr der dicke Wirt fort. »Es is' nicht leicht für einen Mann, mitanzusehen, wie sein Lebensunterhalt einfach so den Bach runtergeht.« Er schluckte laut, und seine Hängebacken bebten gerührt.
»Marten«, sagte Ida ungeduldig. In so weinerlicher Stimmung war der Mann ihr sogar noch unsympathischer als sonst. »Ich bin hier, um meine Kette abzuholen, erinnert Ihr Euch?«
Er sah sie aus schwimmenden Augen an. »Ja«, sagte er vage. »Sicher erinner' ich mich. Die Kette.« Er fingerte in seinen Taschen herum. Ida verdrehte die Augen, während er seine Kleider absuchte. Endlich schnaufte er und zog eine silberne Kette hervor.
»Da ist sie ja«, sagte er befriedigt. Ida griff danach, aber er zog blitzschnell die Hand weg und funkelte sie an. Ida seufzte und stand auf, um seine Entlohnung aus ihrer Satteltasche zu holen.
»Seht's
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