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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Ida sah ihr wie immer mit Vergnügen dabei zu. Die Kletterer trugen ihren alten Namen wahrlich zu Recht.
    »Jedes Nest der Grennach hat sein eigenes Tel'krian, sein eigenes ›Nest der Mütter‹«, erklang ihre Stimme von oben, während sie immer weiter hinauf in die Krone des Baumes kletterte. »Dort werden die Kinder meines Volkes aufgezogen. Es war ein Scherz, das Gildenhaus so zu nennen, ein doppelter Scherz noch dazu. Bei uns kümmern sich die Männchen um die Aufzucht des Nachwuchses.« Ida legte den Kopf weit in den Nacken, aber Mellis war im Gewirr der Äste verschwunden. Ida lachte und hockte sich auf den Boden. Es brauchte Geduld, um aus Mellis etwas herauszubekommen, und wenn es nur harmlose Informationen über das alltägliche Leben der Grennach waren, die sie sich wahrscheinlich genauso gut aus dem Archiv des Ordens hätte besorgen können.
    »Hallo«, erklang eine Männerstimme hinter ihr. Ida blinzelte hoch und sah in das zerknitterte Gesicht des kleinen Mannes, der mit Tallis und Eddy hier angekommen war.
    »Hallo, Dix«, erwiderte sie freundlich und klopfte einladend auf den Boden. Er hockte sich neben sie und zupfte einen Grashalm aus dem Boden, um ihn zu betrachten wie ein Wunderwerk.
    »Du kommst leichter mit unserer Welt zurecht als Eddy, nicht wahr?«, fragte Ida. Dix hob die Schultern und zog eine Grimasse.
    »Ich nehme es hin«, sagte er gelassen. »Nicht, dass ich nicht manchmal glaube, mich in einem Traum zu befinden. Aber solange es ein derart netter Traum ist, sehe ich keine Veranlassung, im Kreis zu rennen und zu schreien.« Er grinste zu ihr auf, und Ida erwiderte es mit einem Zwinkern.
    »Nun, Eddy tut es«, sagte sie mit einem bitteren Unterton. »Nicht, dass sie im Kreis rennt, aber sie beißt um sich wie eine ... eine ...«
    »Eine gefangene Ratte?«, schlug Dix vor. Ida prustete.
    »Kein sehr höflicher Vergleich«, ließ Mellis sich von oben vernehmen.
    »Aber zutreffend«, erwiderte Dix, den anscheinend nichts aus der Fassung bringen konnte. »Sie wird sich beruhigen, Ida, keine Sorge. Sie hat nur eine wirklich schlimme Zeit hinter sich. Wenn sie sich erst einmal ein wenig erholt hat, wird sie genauso froh sein, hier bei euch zu sein, wie ich es bin. Das Lager war kein reines Vergnügen.«
    Vom Haus her rief jemand nach Ida. Es war eine der jüngeren Schwestern, die den Türdienst versahen. Sie kam über die Wiese zu ihnen gelaufen und winkte mit einem Brief.
    »Gerade ist ein Bote aus Falkenhorst gekommen«, rief sie atemlos. »Er hatte auch eine Nachricht für dich, und Mutter Ylenia wollte, dass ich sie dir sofort bringe.«
    Ida dankte ein wenig verwundert und wendete den Brief in den Händen. Ihr Name stand in einer kraftvollen Handschrift darauf. Wer mochte ihr nur hierher schreiben? Sie erbrach das Siegel und faltete den Bogen auseinander. Ihr erster Blick fiel auf die Unterschrift: Marten. Hastig überflog sie die kurze Nachricht und faltete den Brief dann wieder zusammen.
    »Schlechte Neuigkeiten?«, fragte Mellis, die inzwischen wieder zu ihnen hinabgeklettert war.
    Ida nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Nein, keineswegs schlecht«, sagte sie gedämpft. »Es ist von Marten, er hat die Kette. Aber er hat nicht herausfinden können, wo mein Bruder sich aufhält. Vielleicht muss ich jetzt doch selbst hinüber in den Hort.«
    Mellis legte ihr warnend die Hand auf den Arm. »Denk an meine Warnung. Vertrau diesem Kerl nicht. Er sitzt da in seinem Gasthaus wie eine fette Spinne in ihrem Netz. Wenn du dich näher mit ihm einlässt, könnte es dir passieren, dass er dich eingewickelt und ausgesaugt hat, ehe du überhaupt begriffen hast, was passiert ist.«
    Ida sah belustigt auf die Grennach nieder, aber als sie in die ernsten grünen Augen sah, erstarb ihr Lächeln. »Ich werde daran denken. Keine Sorge, Mellis, ich bin auf der Hut.«

    ~ 12 ~

    Ihre Tante ließ sie nur schweren Herzens alleine ziehen. Ylenia machte sich große Sorgen um ihre Sicherheit, aber Ida konnte sie schließlich doch davon überzeugen, dass es nicht viel Sinn hatte, wenn sie allein im Ordenshaus herumsaß und Däumchen drehte, während alle anderen fort waren.
    Ylenia, Tallis und Eddy waren kurz zuvor zum Tel'krinem, dem Großen Nest, aufgebrochen. Ylenia und Tallis wollten sich mit dem Gedächtnis des Grennach-Volkes treffen, um den wahren Wortlaut der Prophezeiung zu erfahren, und bestanden aus irgendwelchen Gründen, die sie niemandem mitteilen wollten, darauf, dass Eddy sie begleitete.

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