Anidas Prophezeiung
Prinzessin. Da werdet Ihr nichts finden, was mir passt. Ich werde mich im Hort erst einmal neu einkleiden müssen.«
»Aber das hier gehört doch sicher Euch«, wandte Ida ein. Sie hatte eine weitere riesige Hose, diesmal in Weinrot, gefunden. Marten brummelte unverständlich vor sich hin. »Bitte?«, fragte Ida höflich und drehte sich fort, um ihr Lachen vor ihm zu verbergen.
»Ja«, antwortete er laut. »Das hat mir auch alles einmal gepasst, wenn es das ist, worauf Ihr anspielt.« Er kam auf sie zu, nahm ihr die Kleider fort, warf sie in die Lade zurück und schmetterte den Deckel zu.
»Oh«, sagte Ida unschuldig. »Sollte ich Euch gar mit meinen Worten verletzt haben? Das wollte ich nicht, Marten. Verzeiht Ihr mir?«
Er fuhr zu ihr herum, die Hand wie zum Schlag erhoben und starrte sie mit gebleckten Zähnen an. Ida klimperte mit den Wimpern. Sein Gesicht fing an zu zucken, und er wandte sich hastig ab.
»Ihr seid eine verdammte Plage, Prinzessin«, sagte er mit gepresster Stimme. »Eure arme Tante tut mir leid. Euch Anstand zu lehren, muss wirklich ein hartes Geschäft gewesen sein.«
»Anstand und Sticken«, erwiderte Ida automatisch und verstummte verwirrt. Warum in aller Welt hatte sie das jetzt gesagt?
Marten räusperte sich rau und rührte heftig in dem großen Topf herum. »Setzt Euch endlich hin«, befahl er unwirsch. Ida zog sich folgsam den Schemel an den Tisch und legte das Kinn in die Hände. Er stellte den Topf vor ihre Nase, knallte Löffel hin und fing schweigend an, zwei Näpfe aufzufüllen. Einen schob er Ida hin, den anderen nahm er selbst in seine plumpe Hand und begann zu löffeln.
Ida seufzte leise und zog sich den Napf ganz heran. Der Getreidebrei mit den getrockneten Früchten darin war ebenso sättigend wie schmackhaft. Ida aß stumm und blickte dann entschlossen auf. Sie legte den Löffel beiseite und sagte: »Hört, Marten. Es tut mir wirklich leid, Euch geärgert zu haben. Ich weiß, dass Ihr mich genauso wenig leiden könnt wie ich Euch, aber wir werden jetzt eine Zeitlang miteinander auskommen müssen. Wir müssen ja wahrhaftig keine Freunde sein, aber sollten wir nicht wenigstens versuchen, höflich zueinander zu sein?«
Er blickte nicht auf. Seine Brauen waren grimmig zusammengezogen, und die dicken Finger umklammerten den Löffel. »Wie Ihr meint, Prinzessin. Ihr seid es, die für diesen Ausflug bezahlt. Aber Ihr solltet auch bedenken, dass ich es bin, der sich im Hort auskennt. Wenn Ihr nicht bereit seid, Euch darin nach mir zu richten, werden wir üble Schwierigkeiten bekommen.« Er blickte von seinem Napf auf. Sie starrten sich aufgebracht an. Dann schüttelte Ida leicht den Kopf und reichte ihm ihre Hand hin. »Friede, Marten«, sagte sie sanft.
Er zögerte kurz, dann ergriff er die angebotene Hand und drückte sie erstaunlich behutsam. Er hielt sie einige Atemzüge lang in seiner Pranke und sah Ida in die Augen, dann ließ er sie los und widmete sich wieder seinem Frühstück.
»Esst«, sagte er. »Wir wollen gleich aufbrechen. Ich muss noch heute bei meinem Treffpunkt sein.«
Sie ritten den kleineren Nebenarm des Falkenflusses entlang, bis sie auf die Nebelwand trafen. Ida hatte sich noch nicht richtig an die fremde Kleidung gewöhnt und ertappte sich immer wieder dabei, dass sie an der kurzen Jacke oder am gewickelten Bund der rockähnlich weiten Hose herumzupfte.
»Da vorne«, brach Marten das Schweigen. Ida sah auf und blickte mit Unbehagen auf die Grenze. Sie zügelten ihre Pferde, und Marten stieg ab.
»Wie bringt Ihr uns da durch?«, fragte Ida. Marten grunzte nur und führte sein Pferd dicht an die Nebelbank heran. Es war ein unheimlicher Anblick, denn über ihren Köpfen wölbte sich ein klarer, hellblauer Frühlingshimmel. Und doch standen sie hier vor einer himmelhoch aufragenden, grauweißen Wand, die ihnen schweigend und bedrohlich Weg und Sicht versperrte.
Marten streckte zögernd die Hand aus, die sofort vom Nebel verschluckt wurde. Er stieß die Luft aus und winkte Ida zu.
»Wir können so durch, sie ist offen«, sagte er, als er sich wieder in den Sattel schwang. Ida nickte ergeben und folgte ihm hinein in das wallende Weiß. Es war nicht ihre erste Grenzüberquerung, aber dieses Mal hatte sie nicht nur eine kurze Stippvisite vor sich, und das bereitete ihr doch ein mulmiges Gefühl. Nach wenigen Schritten waren sie durch den Nebel hindurch und ritten wieder durch eine idyllische, sonnenbeschienene Flussaue.
»Wir werden heute jemanden
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