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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Martens Lippen glitten über ihr Gesicht zum Ohr, und sie hörte das unterdrückte Lachen in seiner Stimme, als er wisperte: »Das machst du doch sehr gut, Prinzessin. Schade, wirklich schade, dass du so mager bist.«
    Er ließ sie gemächlich los, als betont laute Schritte von draußen erklangen. Die Tür schwang hart auf, und Storn, das Gesicht gerötet vom Wein – oder von etwas anderem? – trat wieder in die Küche.
    »Ich gehe zu Bett«, verkündete er. »Ich bin hundemüde. Heute passiert ohnehin nichts mehr. Piro fährt ungern nachts, weil er den Fluss nicht so gut kennt wie Danil. Er wird die Dämmerung abwarten.« Er gähnte ungeniert und nahm seinen Reisesack auf. Marten streckte sich und wuchtete sich dann schwerfällig auf die Füße.
    »Ich denke, wir gehen dann auch«, lallte er. »Komm, mein Junge, ab ins Bett mit uns beiden.« Er legte Ida den Arm um die Taille und tätschelte ihren Hintern. Ida sah den Blick, mit dem Storn ihn bedachte, und fröstelte. Dann richtete sich das scharfe schwarze Auge auf sie und blinzelte ihr zu. Ida nickte unmerklich. Marten schob sie zur Tür, wobei er sich schwer auf sie stützte. Er schien kaum noch in der Lage zu stehen, dachte Ida verwundert. Sie hatten sich einen großen Krug Wein geteilt, von dem er sicherlich den Löwenanteil getrunken hatte, aber sie konnte Martens Fassungsvermögen inzwischen ganz gut einschätzen. Er hätte eigentlich nicht mehr als stark angeheitert sein dürfen, jedenfalls bei weitem noch nicht so volltrunken, wie er jetzt wirkte. Er schwankte neben ihr her, und sie half ihm, die Treppe zum oberen Geschoss zu erklimmen.
    Marten neigte ihr seinen Kopf entgegen und flüsterte: »Du hast noch eine Verabredung mit Storn, richtig?« Ida bejahte überrascht. »Na gut, wahrscheinlich lässt sich das jetzt nicht mehr vermeiden. Erzähl' mir was«, drängte er, »irgendwas.«
    Ida murmelte: »Was hast du vor, Marten? Jedenfalls bist du nicht annähernd so besoffen, wie du vorgibst, das ist mir schon klar. Glaubst du, du hast Storn getäuscht?«
    Marten blieb abrupt stehen, sie hatten das obere Ende der Treppe erreicht, und fegte Idas stützenden Arm beiseite, dass sie gegen das Geländer taumelte. »Wofür hältst du dich, du Rotzlöffel?«, brüllte er in trunkener Wut. »Ich habe dich nicht aus der Gosse geholt, damit du mir jetzt Vorhaltungen machst. Was und wie viel ich trinke, ist immer noch meine verdammte Angelegenheit. Halt' du deine Nase da raus, du Bengel!« Er schwankte von ihr fort auf eine Tür zu und klammerte sich an den Türrahmen. Ida sah ihm sprachlos nach. »Schlaf heut Nacht, wo und mit wem du willst, in meinem Bett will ich dich jedenfalls nicht sehen!« Marten taumelte ins Zimmer. Die Tür knallte hinter ihm zu, und Ida fand sich sehr verdutzt allein auf der Treppe. Unsicher, wie sie sich nach Martens eigentümlichem Abgang verhalten sollte, stieg sie wieder hinab und stieß vor der Küche auf den reglos am Türrahmen lehnenden Storn, der alles mitangehört hatte. Sie konnte seine Miene nicht erkennen, da das einzige Licht aus der Küche fiel und sein Gesicht im tiefen Schatten verschwinden ließ. Nur das milchige linke Auge schimmerte gespenstisch aus der schwarzen Fläche hervor und schien sie zu fixieren. Sie blieb erschreckt stehen und sah ihn an. Er stand da, die Arme verschränkt, und fragte spöttisch: »Was war das? Ein kleiner Streit unter Liebenden?«
    Ida presste die Lippen zusammen und drängte sich an ihm vorbei in die Küche, wo sie unentschlossen am Tisch stehen blieb und auf die leeren Becher, die Teller mit den angetrockneten Essensresten und die Lachen verschütteten Weins niederblickte. Ein angebissener Brotkanten trocknete vor sich hin, Krümel übersäten die Tischplatte, und Martens Pfeife lag vergessen zwischen ihnen. Storn stand hinter ihr, sie spürte seine Präsenz wie einen kalten Luftstrom.
    »Wollen wir uns unterhalten?«, fragte er behutsam. »Oder seid Ihr zu erregt nach diesem unerfreulichen Auftritt?«
    Das Mitgefühl in Storns Stimme überraschte sie. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihm gerade ins Gesicht. Sein gesundes Auge sah sie nicht ohne Sympathie an, und Ida ertappte sich bei einem Lächeln. Sie wies auf die Bank und sagte: »Gut, unterhalten wir uns. Das lenkt mich vielleicht von der Szene ab, die er mir gemacht hat.«
    Storn lachte zustimmend und setzte sich wieder an seinen Platz. Ida ließ sich ihm gegenüber auf die Bank sinken und rieb sich müde über die Augen. Storn schwieg

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