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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Nimmersatt. Sie schließt die Augen und verliert sich. Lässt es sich besorgen. Und ich nagele sie ein gutes Weilchen, bis auch ich fertig werde, schnaubend wie ein Hengst.
    Uff, diese Wohnung ist aber auch hermetisch verschlossen! Ich ersticke. Klaustrophobie überfällt mich. Mit einem Satz springe ich auf, streife mir den plüschigen Morgenrock über. Sehe auf die Uhr. Sieben Uhr vierzig. Ich gehe zum Balkon und öffne die Tür. Frische Luft, verdammt! Frische Luft, ich ersticke gleich! Ich ertrage diese Gardinen überall nicht und die ständig geschlossenen Türen und Fenster. Das Thermometer zeigt 20 Grad an. Die grünen Gärten, die strahlende Sonne, die Ruhe und Stille. Der blaue Himmel. Singende Vögel. Niemand in Sicht. Absolut niemand in Sicht. Wo, verdammt noch mal, stecken bloß die Schweden in diesem Stadtteil? Manchmal denke ich, sie haben geheime Tunnel und bewegen sich unterirdisch wie Maulwürfe.
    Ich gehe in die Küche. Koche meinen Kaffee und ihren Tee. Verzweifelt läuft Agneta hin und her.
    »Ich glaube, ich habe keine Zeit mehr. Oh, oh …«
    »Diese Morgenficks gefährden die Arbeitsmoral.«
    »Ohhhh … ich verstehe kein Wort, bitte, später.«
    »Der Tee. It’s ready.«
    »Ich habe keine Zeit.«
    Sie gibt mir einen Kuss. Zwei. Drei. Läuft eilig die Treppen hinunter. Der nächste Nahverkehrszug fährt um sieben Uhr sechsundfünfzig. Er wird pünktlich sein, sie aber viel zu spät bei der Arbeit. Vielleicht um acht Uhr dreißig. Ich glaube, ich muss vorsichtiger sein mit meinen frühmorgendlichen Vögeleien. Wenn man sie rauswerfen sollte, würde ich mir das nie verzeihen. Man kann schon ein Schwein sein, aber kein solches.
    Ich bleibe allein zurück und gehe hinaus auf den kleinen Balkon. Reine Luft und Kaffee. Da schießt mir etwas durch den Kopf, und ohne weiter nachzudenken, gehe ich ins Schlafzimmer und breite in einer Ecke mein rotes Taschentuch auf dem Boden aus. Darauf stelle ich ein Gläschen Wodka, lege eine Zigarre dazu sowie die Halsbänder von Changó und Obbatalá. Ich stecke eine Kerze an und ordne die Bildchen von Santa Bárbara, San Lázaro und Caridad del Cobre drum herum, die ich mitgebracht habe. Ich bete, weihe und bitte. Auch den Afrikaner und den Indianer. Ein kalter Schauer überläuft mich. Jemand verlangt Wasser. Ich hole ein Glas Wasser und weihe es ebenfalls mit ein paar Gebeten, die ich auswendig kenne. Wie schade, dass ich weder Gelbholz noch Zederach oder Basilikum habe. Dreimal lese ich das Gebet an den Gerechten Richter für Männer. Ein paar Tage, bevor ich Havanna verließ, hatte Gloria es mir auf ein Stück Pappe abgeschrieben und mir gegeben: »… meine Feinde sehe ich kommen, doch dreimal wiederhole ich: Auch wenn sie Augen haben, sollen sie mich nicht sehen. Auch wenn sie Hände haben, sollen sie mich nicht berühren. Auch wenn sie Münder haben, sollen sie nicht zu mir sprechen. Auch wenn sie Füße haben, sollen sie mich nicht einholen.«

13
    Im Fernsehen bringen sie oft den Kampf zwischen Floyd Patterson und dem Schweden Ingmar Johansson in New York 1959. Mit großem Vergnügen erinnern sich die Schweden an jene Tracht Prügel. Johansson, der auf den Neger einschlägt, und wie der Typ auf die Matte geht. Er steht wieder auf. Mehr Haken mit der Rechten. Und zu Boden. Er steht auf. Noch mehr. Kurze Haken. Direkt ins Gesicht. Und zu Boden. Eine kurze Gerade in die Leber. Zu Boden. Und so in einem fort. Beharrlich zeigt das Fernsehen immer wieder diese Filmausschnitte, bis der Sprecher den Knockout des Amerikaners verkündet. Danach sieht man die beiden heute, vierzig Jahre später, alt und dick, wie sie sich lächelnd im Madison Square Garden an all das erinnern. Sie sind Freunde geworden. Patterson kam viele Male nach Schweden. Er lernte Schwedisch, heiratete eine blonde, sehr weiße Schwedin. Am Ende sagt Johansson stets dasselbe: »A champion always is a champion.« Die Zeitungen veröffentlichen Fotos aus der Zeit. Auf einem davon sieht man Frank Sinatra und Floyd Patterson ganz jung, wie sie gerade eine Bar in Stockholm verlassen.
    Ich sehe solche Filme und solche Fotos gern. Zu der Zeit war ich acht, und meine Eltern waren total abgebrannt. Wir wohnten in einer winzigen Wohnung in Matanzas. Sie hatte einen kleinen Balkon, und das einzig Schöne daran war, dass das Meer sich in zehn Meter Entfernung vor dem Balkon erstreckte. Es war ein Gebäude mit vielen Zimmern und kleinen Wohnungen sowie zwei Gemeinschaftsbädern. Da wohnten Libanesen,

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