Animal Tropical
Spanier, Polen, ein alter Polizist, ein alter Seemann, ein paar unbrauchbare, alte Nutten. Kurz und gut, viele Hungerleider da in dem Gebäude am Meer. Es lebte dort auch eine Nutte mit vielen Kunden, die Zoilita hieß, genau wie meine Mutter. Die Männer schickten ihr Nachrichten auf kleinen Fetzen Papier: »Zoilita, ich bin in der Mayito-Bar. Beeil dich. Ernesto.« Dinge in der Art. Sie schickten sie über irgendein Kind. Manchmal irrten sich die Jungs in der Tür oder fragten: »Wo wohnt Zoila?« Irgendjemand wies dann auf unsere Tür. Das erste Mal geschah dies um sechs Uhr nachmittags. Mein Vater war zu Hause, und ich will gar nicht an den Krawall denken, den er schlug. Ich darf überhaupt nicht daran denken. Um ein Haar hätte er meine Mutter ermordet. Zum Glück ist meine Mutter flink im Kopf und verstand in zwei Minuten, was sich da abspielte. Sie trat auf den Flur, um den Jungen zurückzuhalten, der die Treppen runterlief. Das Bürschchen eilte ihr nach, und meine Mutter ging und klopfte an Zoilitas Tür. Als sie öffnete, reichte ihr meine Mutter höflich die Nachricht: »Ist das vielleicht für Sie, Señora?«
»Ah, ja, entschuldigen Sie, aber die Kinder …«
»Wir haben denselben Namen, aber ich bin eine ehrbare Hausfrau.«
»Das macht nichts …«
»Ihnen macht das vielleicht nichts, mir schon. Erklären Sie Ihren Freunden bitte genau, wo Sie wohnen. Ich möchte keine Verwechslungen mehr.«
Natürlich hörte es nicht auf, aber jetzt wussten wir ja schon alle, dass die Hure die andere Zoilita war und nicht meine Mutter.
Mir gefiel das Viertel. Ich hatte viele Freunde. Ich war ein Junge, der immer für viel Wirbel in der Umgebung sorgte. Hinterher gingen fast alle nach Miami. Nachts klauten sie die Yachten und Wasserskiboote, die am Kai vom Club Náutico vertäut waren, und riefen zwei Tage später aus Florida an. Wir blieben, Pässe und Visa bereit. Aber das ist eine andere Geschichte. Wichtig ist, dass unten Concha wohnte, die unglücklichste und dramatischste Person, die mir je in meinem Leben begegnet ist. Wenn ich eines Tages einen Roman über ihr wahres Leben schreibe, wird er ein totaler Flop, denn niemand wird eine solche Pechsträhne, eine solche Kette aufeinander folgender Missgeschicke von der Wiege bis ins Grab, glauben. Eine trostlose Frau, am Boden zerstört wie eine Kakerlake. Sie war Lehrerin auf dem Lande in irgendeinem Drecksnest am Arsch der Welt. Im Morgengrauen brach sie auf und kehrte nachts in ihr Zimmer zurück. Drei-, viermal die Woche besuchte sie ihr Dauerliebhaber Cheo. Ein dicker Kerl mit Wampe, ein Prolet in den Vierzigern. Und als reichte das nicht, besaß er auch noch ein rotes Motorrad Cushman, und sie ähnelten einander sehr. Wie Zwillingsbrüder waren sie, er und das Motorrad. Wir hegten eine gegenseitige Antipathie. Den einzigen Fernseher im ganzen Viertel – einen hässlichen Hotpoint mit kleinem Bildschirm – hatte Cheo Concha geschenkt. Und ich ging hinunter, begrüßte Concha, ignorierte Cheo und setzte mich hin, um mir die Boxkämpfe anzusehen. Profiboxen in zehn Runden. Wahnsinnskämpfe. Manchmal wurden sie aus dem Madison übertragen. Cheo hasste mich, weil ich mit meinem frechen Gesicht hereinkam, ihn keines Blickes würdigte, ihn, den Herrn des Fernsehers, und ganz dreist alle Kämpfe bis zum letzten ansah. Jahre später fiel mir ein, dass der Kerl bestimmt gerne Concha gevögelt hätte, zu den Boxkämpfen, und ich sie dabei unterbrach. Aber das, wie mein Großvater immer zu sagen pflegte, solle Gott erraten. Für mich war es schon ein Opfer, den Gestank nach Scheiße und Urin von Conchas Hunden und Katzen zu ertragen und obendrein noch die fiese Fresse dieses alten Bocks. Jene Abende waren die Grundlage für meine Studien. Als ich später dann bei der Armee war, begann ich zu boxen und hatte, es mag pedantisch sein, das zu sagen, eine sehr elegante und präzise Technik. Man nannte mich »El Dandy«, aber meinen Schlägen fehlte es an Kraft. Der Trainer sagte mir immer wieder: »Weniger Eleganz und mehr Muskeln.« Jetzt, da ich diese Schlägerei zwischen Patterson und dem Schweden sehe, erinnere ich mich wieder an diese Momente damals. Ich werde alt. Versteht sich. Die Jungen haben nichts, woran sie sich erinnern können. Ich ja. Viel zu viel Erinnerung. Manchmal glaube ich schon, übertrieben viel Erinnerung. Obwohl ich lieber die positive Seite daran sehe: Eine große Erinnerung ist wie eine große Wurzel. Sie gibt dem Körper Saft. Und dieser Saft
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