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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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durchflutet mich und hält mich aufrecht.
    Agneta ruft an und reißt mich aus meinen Gedanken. Über diesen Blödsinn nachzudenken führt garantiert zu nichts.
    »Könntest du mich heute Nachmittag ins Saint-Jacques-Gefängnis begleiten?«
    »Saint Jacques? Wo ist das? In Frankreich?«
    »Nein. Hier.«
    »Und warum heißt es dann so?«
    »Weiß ich nicht. Könntest du mich begleiten?«
    »Ohhh … ein Gefängnis … uff, das ist genau wie ein Leichenschauhaus … ich weiß nicht … Sitzt da einer, den du kennst? Ein Bruder, ein Neffe?«
    »Ich bitte dich, Pedro. In meiner Familie … äh, also, ich gehöre einer Hilfsorganisation an. Das erkläre ich dir später. Ich muss heute Nachmittag Zeitschriften und Bücher hinbringen. Ich brauche deine Hilfe. Es sind drei große, sehr schwere Taschen.«
    »Oh, wenn es so ist …«
    »Ich gehe nicht gern allein.«
    »Sie könnten dich vergewaltigen oder umbringen?«
    »Das glaube ich nicht. Es gibt da hervorragende Sicherheitsvorkehrungen.«
    Ach, verdammt noch mal. Nie kapiert sie. Alles nimmt sie ernst.
    »Alles klar. Natürlich kann ich dir helfen kommen.«
    Sie gibt mir hochpräzise Anweisungen in Bezug auf Ort und Zeit.
    »Bitte sei pünktlich, Pedro Juan.«
    »Natürlich, bin ich nicht immer pünktlich?«
    »Manchmal nicht.«
    »Aber manchmal doch. Hahahahaha.«
    »Hahaha.«
    Immerhin lächelt sie ein bisschen. Wir sehen uns zur exakten Stunde am exakten Ort. Nehmen den exakten Zug. Um fünf Uhr fünfundvierzig nachmittags drückt Agneta den Knopf am Haupteingang von Saint Jacques. Man befragt sie über die Gegensprechanlage. Sie antwortet. Wir warten zwei Minuten. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, sehen wir in die Fernsehkamera über uns. Mit einem Summer wird die Tür geöffnet. Es ist ein kleines, sauberes Gefängnis. Ein einziges massives Gebäude mit vier Stockwerken, in hellem Beige und Weiß gestrichen. Umgeben von einer großen Mauer mit Stacheldrahtrollen obendrauf, und alle Fenster garniert mit weißen Gittern. Es hat auch einen Rasen und schön gepflegte Gärten, Bäume und Blumen sowie zwei kleine Sportplätze. Alles tadellos sauber. Eine hübsche, sehr maskuline junge Frau namens Pernilla, wie das eingenähte Namensschild auf ihrer Brust besagte, empfing uns. Mein Blick glitt von ihrem Namensschild zum Arsch. Fest und kompakt. Bestimmt mag sie es nicht so sehr von vorn.
    Selbstverständlich werden wir am Eingang mit Metalldetektoren durchgecheckt, werden unsere Ausweise überprüft, bekommen wir ein Schildchen angeheftet, und dann lässt man uns mit unseren Taschen voller Bücher und Zeitschriften eintreten. Ein Flur nach dem anderen. Eine Treppe. Alles tipptopp sauber. Die Gittertüren öffnen sich uns mittels einer elektronischen Karte, die Pernilla bei sich trägt. Und hinter uns schließen sie sich wieder. Das Ganze ist ziemlich beunruhigend. Ich habe da etwas Erfahrung. Wir mussten fünf Gittertüren durchqueren. Mittlerer Sicherheitsknast. Ich weiß, dass wir uns in ein Labyrinth begeben, das sich Gitter für Gitter in einen klaustrophobischen Albtraum verwandelt. Warum, zum Teufel, habe ich mich darauf eingelassen? Ich habe viel zu starke und unangenehme Erinnerungen, die jetzt hochkommen. Ich schaffe es, mich zusammenzureißen und mir erneut einen einfachen Gedanken in den Kopf zu setzen: Ich bin hier nur für ein paar Minuten, um diese Bücher abzugeben, und danach gehe ich wieder raus ins Freie. Immer mit der Ruhe, Pedro Juan, es kann gar nichts passieren.
    Schließlich kamen wir in den Freizeitraum, der allem Anschein nach gelegentlich auch als lutherische Kapelle dient. Wir mussten auf jemanden warten, der Quittungen unterschreiben, erneut die Taschen überprüfen und den Inhalt übernehmen sollte. Pernilla ging los, den Typen holen. Ich weiß nicht, warum, aber mir ging durch den Kopf, dass es ein sehr ernster und liebenswürdiger, schwarz gekleideter Kaplan sein würde.
    Im Raum war nur ein Mann in billiger grauer, ausgeblichener Kleidung. Er hatte ein Sträflingsgesicht und spielte Billard. Ganz allein. Der Kerl sah uns nicht an, als wir eintraten. Agneta setzte sich in eine Ecke neben das Fenster. Ich trat an ein Regal heran. Darin standen mehrere sehr abgenutzte, schmuddelige Tischspiele. Zwei Kartenspiele und ein paar eklige Zeitungen. Das einzig Neue und Unberührte waren zehn Bibeln und zehn Gesangbücher. Ich musste daran denken, wie schwierig für den Kaplan sein Amt sein musste. Ich sah hinüber zu dem Typen, und unsere Blicke

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