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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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unbrauchbarer, verstaubter Trödel. Toaster, Waagen, Körbchen, Weihnachtsbaumschmuck, Kleinkram aller Art. Der Erdboden ist mit alten, schmutzigen Teppichen ausgelegt. Der Wind weht stark und rüttelt an dem Zelt. Es scheint, als könnte jeden Moment alles wegfliegen. Ein paar Dinge erinnern mich an sehr seltsame Momente meines Lebens. Alte Platten stehen da in ihren Hüllen. Alte Platten von nordamerikanischen Country-Sängern. Mir fallen die Endfünfziger- und Sechzigerjahre ein. In den Häusern meiner aristokratischen Verwandten in Havanna hatten alle diese Platten. Schränke voll mit hunderten von Platten aus Nordamerika, aber sie hörten nur Opern und Symphonien bis zum Umfallen.
    Auch ein paar Aktentaschen aus Lederimitat schlechter Qualität liegen herum. Wahrscheinlich aus den Sechzigerund Siebzigerjahren. Sie sind cremefarben und erinnern mich an Bukarest im Sozialismus. In den Sechzigern spazierten viele Männer mit solchen Aktentaschen und Polyesterkrawatten durch die Straßen der Stadt. Gewöhnlich hatten sie in diesen Aktentaschen nur ein Brot mit Knoblauch und Öl, einen Becher Joghurt und ein Päckchen Zigaretten aus fadem, hellem Tabak.
    Der dritte Verkaufsraum ist aus soliden Backsteinmauern. Am Eingang stehen ein kleiner Tresen sowie Tische mit Stühlen. Es gibt Kaffee, Schokolade, Süßigkeiten, Erfrischungen zu kaufen. Endlich treffe ich Leute. Zwei Menschen, die vor dem kalten Wind Schutz suchen. An einem Tisch sitzt ein korpulenter, sehr dicker Herr in Hemdsärmeln. Er muss so um die sechzig sein. Als ich eintrete, bimmelt ein Glöckchen. Träge sieht mich der Mann an. In seinem Blick liegt etwas Aggressives und Verstörtes. Es scheint, als funktionierte sein Gehirn nur sehr dumpf. Ich grüße: »Hi.« Er bewegt sich nicht. Sieht mich nicht an. Erwidert meinen Gruß nicht.
    An einem anderen Tisch sitzt eine dicke Zwergin mit Mongoloidengesicht. Sie sieht aus wie die Zwergin auf dem Bild Las Meninas. Auf Schwedisch brabbelt sie dem Mann etwas zu, der aus den Augenwinkeln zu mir herüberschielt. Sie trinkt Kaffee und isst einen Krapfen. Rülpst laut, als sie den Kopf hebt und mich ansieht. Rülpst wieder, während sie eine Grimasse schneidet und den Kopf schief legt. Viel Staub liegt in der Luft. Man sieht ihn gut in dem durch die große, schmutzige Fensterscheibe hereinfallenden Licht. Weiter hinten ist noch mehr Kram angesammelt, inmitten des Staubs: Bestecke, Mützen, Hüte, Aschenbecher, unbrauchbare Kugelschreiber, leere Flaschen, alte Zeitschriften und Comics. Mehrere Kartons mit herrlichen Zeitschriften aus den Vierzigerjahren stehen herum. Darin sind Meldungen über den Krieg zu finden. Fast all die angeschlagenen, zum Verkauf stehenden Gegenstände stammen aus der Zeit. Vielleicht könnte der eine oder andere davon noch zur Dekoration taugen. Aber unmöglich. Alles ist verrostet, zerbrochen und verschlissen. Einige Kerzenständer und kleine Bronzestücke waren seinerzeit sicher einmal schön. Ein ganzer Schrank ist voll mit Steinen. Hunderte kleine, gewöhnliche Steine. Ein gelbes Schild gibt bekannt, dass jeder von ihnen fünf Kronen wert ist. Der Schrank daneben enthält tausende alter, schmutziger Ansichtskarten voller Feuchtigkeitsflecken und mit ausgefransten Rändern.
    Langsamen Schritts gehe ich hinaus, die Hände in den Taschen. Taste nach meiner Peitsche. Beobachte den Alten und die Zwergin aus den Augenwinkeln. Sie schweigen weiter. In unveränderter Haltung. Erneut sage ich: »Hi.« Sie sehen mich nicht an. Behalten weiter diesen unangenehmen Ausdruck von Vorwurf bei. Ich habe das Gefühl, dass der Alte kurz davor ist, mich aufzufordern, endlich zu gehen und ihm nie wieder unter die Augen zu treten.
    Wieder bimmelt das Glöckchen, als ich die Tür öffne und hinaus in die frische Luft trete. Ich gehe den Kiesweg zurück und höre meine Schritte. Jetzt weht mir der Wind entgegen. Sehr kalt. Ich spüre ihn im Gesicht. Mit der rechten Hand streichele ich die Peitsche in der Tasche.
    Ich komme nach Hause und finde es sehr gemütlich und warm. Mache mir eine Dose Bier auf. Werfe einen Blick auf das Thermometer. 14 Grad Celsius. Ich will gerade ins Bad, weil ich dringend kacken muss, da ruft mich Agneta aus dem Wohnzimmer. Sie hält ein Fotoalbum in den Händen. Das Landhaus im Winter. In verschiedenen Jahren. Auf den ersten Seiten sind Agneta und ihre Schwester ganz kleine Mädchen, die im Schnee spielen. »Das hier war Weihnachten fünfundfünfzig, der Schnee lag zwei Meter hoch,

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