Animal Tropical
Aber dann ist er doch sehr gefährlich. Und du spielst Billard mit ihm …«
»Ich hätte dasselbe wie er getan.«
»Du?«
»Klar. Ich könnte jetzt ebenso gut in Saint Jacques eingesperrt sein, mit dreißig Jahren Haftstrafe.«
14
Zum Frühstück trinke ich nur eine Tasse schwarzen Kaffee. Agneta nimmt Müsli mit Sauermilch, Tee und eine Scheibe Brot mit Käse zu sich. Dazu liest sie die Zeitung. So geht das jeden Morgen. Ich habe das Gefühl, wir verbringen schon Jahre damit, immer dasselbe zu tun. Und es ist wahnsinnig langweilig. Dabei sind wir noch nicht einmal zwei Monate zusammen.
Wir sind fertig. Sie küsst mich. Macht sich eilig auf den Weg. Ich stelle das Radio an. Putze mir die Zähne. Rasiere mich. Ziehe mir den Bademantel aus und betrachte mich im Spiegel. Ich werde immer dünner. Die Waage zeigt fünfundsiebzig Kilo. Das ist gut, es bekommt mir, eine Zeit lang Reis und Bohnen durch Nahrhafteres zu ersetzen. Zu viele Kohlehydrate sind eine Katastrophe. Ich betrachte mich wieder im Spiegel und massiere mir ein bisschen den Schwanz. Er wird dick und wächst an. Wäre ich nicht so alt, könnte ich noch etwas Geld mit Fotoaufnahmen verdienen. Dabei habe ich immer noch einen herrlichen Schwanz. »Pinga de Oro«, Goldschwanz, nannte man mich vor einigen Jahren in Havanna.
Na, wie auch immer, schließlich ziehe ich mich an. Im Radio erklingt ein Song auf Spanisch:
Es gibt keine Rückkehr,
nur Vergessen, Vergessen.
Es gibt keine Rückkehr,
nichts bleibt zurück,
nur Vergessen, Vergessen …
Es muss irgend so ein puertoricanischer Salsa-Sänger aus der Bronx sein. Ein bisschen neurotisch. Ich stelle das Radio aus und lese etwas, das gerade in Reichweite ist: »… die Liebe erwächst aus den Gesten der Liebe.« Ich glaube, es ist ein französisches Sprichwort. Das ist es, was mit Gloria passiert. Alles begann mit erotischer Begierde. Einfach ein bisschen Wollust. Anfangs war ich vorsichtig mit ihr, um zu vermeiden, dass Liebe Einzug hielt. Doch dann begannen all diese kleinen Gesten: ein paar Blumen, ein paar Bücher für das Kind, ein gemeinsames Essen, ein paar Räucherstäbchen für die Santos, ein Gespräch über Religion. Und vor allem: die Freiheit. Das ist am wichtigsten. Sie lässt mir meine Freiheit, und ich lasse ihr ihre Freiheit. Dem geliebten Wesen seine Freiheit zu lassen ist eine Geste spiritueller Größe. Und nach und nach veränderte sich alles. Jetzt habe ich Einsamkeit, Entfernung, Stille und viel Zeit zum Nachdenken. Keine Probleme, die mich ablenken. Was wird geschehen, wenn ich zurückkehre? Im Grunde genommen will ich Gloria ganz für mich allein. Will sie nicht teilen. Ich glaube, sie fühlt dasselbe. Nehme ich jedenfalls an. Keine Ahnung.
Wird dasselbe geschehen wie mit Agneta? Wir haben zu viele Gesten der Liebe. Ununterbrochen, ständig, aber ich glaube nicht, dass es darüber hinausgeht. Unser Herz lässt sich nicht in Stücke teilen. Das einzig Sichere in meinem Leben ist die Konfusion. Sie ist die Konstante, die sich durch mein Leben zieht: die Konfusion, das Chaos, die Verwicklungen. Immer denke ich, eines Tages werde ich erwachsen, und all dies wird zu Ende sein, und ich werde ein ruhigeres Leben führen können. Ich lese gerade etwas, das Colette zu Truman Capote in Paris sagte: »… das ist das Einzige, das keiner von uns beiden je sein können wird: ein erwachsener Mensch …« Voltaire, selbst Voltaire, trug zeit seines Lebens ein Kind in sich, ein eifersüchtiges, übellauniges Kind, ein obszönes Bürschchen, das immer an seinen Fingern roch; und Voltaire nahm dieses Kind mit in sein Grab, so wie wir es alle mit in das unsere nehmen.
Das Läuten des Telefons schreckte mich auf. Es ist ein brasilianischer Journalist. Er ruft mich von der Zeitschrift Bravo aus São Paulo an. Eins meiner Bücher soll dort im Herbst herauskommen. Er interviewt mich per Telefon. Über eine halbe Stunde, und ich antworte. Irgendwann fragt er mich:
»Ich betrachte Ihren Roman als ein ernsthaftes Buch, aber als eins ohne jede Nettigkeit oder politische Zugeständnisse. Wie wurde es aufgenommen?«
Meine Antwort:
»Ich habe keinen Grund, nett zu sein oder politische Konzessionen zu machen. Ein Schriftsteller ist im Grunde ein verbitterter, verwirrter Typ ohne irgendwelche Erklärungen, dem es egal ist, ob man ihn versteht oder nicht. Ob er gut ankommt oder schlecht. Ob er sympathisch ist oder unsympathisch. Ob er Geld hat oder am Verhungern ist. Wenn du Schriftsteller bist,
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