Animal Tropical
weiß etwas.«
»Aha.«
»Ich will es dir erzählen. Vor zwei Jahren wurde von einem Stockholmer Institut für soziale Studien ein Seminar über Prostitution einberufen. Ich war die ganze Zeit dabei. Psychologen, Soziologen, Juristen, alle mit vorgefertigten Meinungen. Sie sagten, die Armut zwinge die Frauen, auf die Straße zu gehen, und all das. Und es gebe kein angemessenes Programm der Rehabilitation. Daraufhin steht eine sehr schöne, etwas extravagant gekleidete Frau auf und sagt: ›Wissen Sie was? Ich bin Prostituierte. Von jung an. Seit über zwanzig, vielleicht dreißig Jahren. Und ich liebe meinen Beruf. Er gefällt mir. Nichts von alledem ist wahr. Und wenn es Arbeitslose gibt, dann weil es keine Arbeit gibt. Nein, nein. Nichts da. Ich bin Prostituierte, weil ich meinen Beruf liebe. Ich bin Brasilianerin und lebe sehr gut in Schweden. Ich will gar keinen anderen Beruf ausüben.‹«
Wir beendeten das Frühstück. Gingen in einen kleinen Garten hinter dem Haus. Redeten über Blumen und wie hübsch alles im Sommer sei und Tulpen hier und Sonnenblumen da, und schließlich verabschiedeten wir uns. Auf der Rückfahrt in der Bahn wurde ich ein bisschen munterer. Der Anblick der grünen Landschaft voller Blumen und die strahlende Sonne. Meine Laune besserte sich. Agneta erzählte mir etwas von ihrer Arbeit und ihrer Chefin, die jeden Tag unerträglicher wurde.
»Sie ist ein altes Mädchen, das mal einen braucht, der es ihr richtig besorgt.«
»Ich verstehe nicht. Du kennst meine Chefin, weißt du noch …?«
»Ja, ich erinnere mich daran. Als ich an dem Nachmittag zu dir ins Büro kam und Zucker auf dem Teppich verstreute. Sie wurde hysterisch.«
»Hmmm.«
»Sie braucht eins drauf.«
»Was ist das?«
»Eins mit dem Schwanz. Sie braucht einen Mann. Und sie ist noch gut in Schuss, elegant …«
»Ach, Pedro …«
»Soll sie mich anmachen, damit du siehst …«
»Vergiss das mal lieber, denn sonst bringe ich euch beide um.«
Ich war zum Scherzen aufgelegt, war guter Dinge. Ich witzelte, aber sie schien es ernst zu meinen.
»Ich bringe euch um und werfe euch von dieser Brücke. Nachts. Und wenn ich einmal dabei bin, bringe ich auch noch den Amerikaner um und werfe ihn ein bisschen weiter vorne runter.«
Der Amerikaner ist ein Kalifornier, der im selben Büro arbeitet. Er war mal mit Agneta zusammen. Verließ sie für die Chefin. Offenbar kann Agneta nicht vergeben. Innerhalb von fünf Sekunden ist sie sauer geworden.
»Hahaha, und dann wanderst du ins Kittchen.«
»Das ist mir egal. Dann gehe ich eben ins Kittchen.«
»Himmel noch mal, du bist heute Morgen aber ganz schön aggressiv.«
»Ja. Außerdem werde ich niemandem sagen, dass es dein letzter Wunsch ist, eingeäschert zu werden. Also kommst du unter die Erde. Das wird noch eine Strafe obendrauf sein. Die letzte Strafe. Vermodern wirst du in der Erde. Zudem in Schweden. Vielleicht werde ich veranlassen, dass man dich in Lappland begräbt. Ewiger Frost. Schön weit entfernt von den Tropen und deinen Macho-Freunden und schwarzen Geliebten.«
»Ohooo, die ultimative Strafe für den Latin Lover!«
»Genau.«
»Viel zu viele Verbrechen auf einmal. Das ist nicht sehr schwedisch.«
»O doch, ich bin Schwedin. Sehr sogar.«
Sie ist sehr ernst. Ich glaube nicht, dass sie spielt. Eine Zeit lang sehe ich aus dem Fenster. Die Bahn fährt schnell. Ich habe Lust, durch diese Wälder zu wandern und mich zu verirren und nicht zu wissen, wohin ich gehe. Ich schließe die Augen, atme tief ein, lasse die ganze Luft raus und sage zu ihr: »So ist das, Agneta. Das Leben verfließt, und wir tun einander weh, und alles sammelt sich im Innern an. Dieser Schmerz kann uns den Garaus machen.«
Wir schweigen und sehen aus dem Fenster auf die Wälder. Ich spüre, dass sie wütend ist. Ich bin sehr gelassen. Vier Minuten später erreichen wir unsere Station, steigen aus und schlendern ohne Eile weiter. Wir sind erschöpft.
16
Agneta hat sich vierzehn Tage freigenommen, und jetzt verbringen wir die ganze Zeit zusammen. Wir haben wenig zu tun und nicht viel zu reden. Wir hören Radio Match. Die Moderatoren sprechen simultan Englisch und Schwedisch und senden viel Rock und Countrymusic. Zwei-, drei-, viermal am Tag vögeln wir. Ich bin natürlich völlig entsaftet, aber das spielt keine Rolle. Ich kenne viele chinesische Spielchen, und wir haben unseren Spaß. Manchmal werde ich ein bisschen morbide und befrage sie über ihr voriges Liebesleben. Nichts. Sie will
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