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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Schusslinie. Anders geht es nicht. Sie darf nicht in den Westflügel. Sonst vermasselt sie uns die Tour. Und dann sind wir dran.«
    Erykah antwortete nicht. Sie schaute mir in die Augen, als suche sie nach etwas.
    »Lucy hat recht. Es geht nicht anders«, stimmte Katya mir zu.
    »Ihr wisst, was das heißt?«, fragte Erykah.
    Ich nickte langsam. Katya hob die Stimme und fluchte: »Verdammt, das ist nicht gesagt! Butterfly hat keine Ahnung. Keiner kann sie zur Verantwortung ziehen. Nichts wird ihr passieren, nichts!«
    »Träum weiter«, widersprach Erykah bissig.
    »Was schlägst du vor?« Ich suchte schon seit Längerem nach einem Ausweg. Mir war keiner eingefallen.
    »Nichts. Es geht nicht anders.«
    »Ich habe Angst«, sagte Katya plötzlich mit zitternder Stimme. »Vor uns. Wir sind doch keine Mörder …«
    »Doch sind wir. Alle drei. Wie wir hier sitzen. Irre ich mich da, Katya?« Ich zündete mir gleichmütig eine Zigarette an und schnippte eine Staubflocke von der Sofalehne.
    Katya gab keine Antwort.

43. Der unsichtbare Dritte
    Pete, 36, Geheimagent
    Der Neuschnee, der vom Himmel herab auf Washington rieselte, verschluckte die Fahrgeräusche meines Dienstwagens fast vollständig. Ich genoss das langsame Dahingleiten durch die fast menschenleeren Straßen dieses entlegenen Stadtviertels. Ruhig war es hier. Ich betrachtete die durch gepflegte Vorgärten von der Straße getrennten Villen. Die prachtvollen Häuserfronten waren teilweise hinter Tannen, Fichten oder Kiefern verborgen, deren Wipfel sich demütig unter dem Gewicht des Schnees zu beugen begannen. Eine ältere Dame führte ihren Hund spazieren und wartete geduldig, bis er das Tor einer langen, gewundenen Auffahrt hinreichend beschnüffelt hatte. Auf der anderen Straßenseite rollte ein Pullman auf die Fahrbahn und verschwand leise in die Nacht. Ich war nur einige Blocks gefahren, um in einer völlig anderen Welt zu landen. Hier gab es keine Penner, die in Müllcontainern nach Essbarem suchten, keine drogensüchtigen Arbeitslosen, die in Hauseingängen herumlungerten, um den nächsten Passanten abzufangen und ihn um sein Bargeld, seine Uhr und seinen Ausweis zu erleichtern. Doch was für ein trügerisches Idyll! Vor nicht allzu langer Zeit hatte hinter diesen gepflegten Fassaden der Bürgerlichkeit ein halbwüchsiger Sohn seine Eltern mit der Axt zerteilt. Ein paar Häuser weiter hatte sich kurz darauf die Frau eines hohen Regierungsbeamten die Pulsadern aufgeschnitten. Und erst vor zwei Monaten war in einer Mülltonne der gepiercte Penis eines Mannes gefunden worden. Vermutlich ein Stricher, der irgendwelchen obskuren Sexspielen zum Opfer gefallen war. Fälle wie diese wurden nie in den öffentlichen Medien breitgetreten. Absprachen unter den oberen Zehntausend, versteckte Drohungen und lukrative Schweigegelder verhinderten in den meisten Fällen einen Skandal.
    Ich bog um die nächste Straßenecke und rollte durch ein geöffnetes Eisentor die lange Auffahrt eines Hauses hinauf, das durch seine Lage auf einem sanft ansteigenden Hügel den Rest des Viertels überragte. Das Gebäude war nicht so groß wie die umstehenden, wirkte aber nicht weniger imposant: Es wurde von einem weitläufigen, mit Bäumen und Sträuchern bepflanzten Grundstück gesäumt, das Eingangsportal aus Massivholz war von Marmorsäulen eingerahmt, und alles war in ein warmes weißes Licht getaucht. Ich hatte meinen Motor noch nicht abgestellt, als sich die Tür öffnete und ein Mann Mitte dreißig in dunklem Anzug aus dem Haus trat und auf mich zukam.
    »Mister Fowler? Sie werden erwartet. Gehen Sie einfach hinein, dritte Tür rechts. Ich fahre Ihren Wagen hinters Haus. Mister March mag es nicht, wenn Autos die Optik verschandeln.«
    Ich ging die paar Stufen zum Haus hoch. Ein kalter Wind pfiff über den Hügel. Ich wusste nicht, ob ich die Haustür hinter mir schließen sollte, also lehnte ich sie nur an und trat in den Salon, in dem Snyder und March in Corbusier-Sesseln saßen und sich angeregt unterhielten. Als sie mich bemerkten, stand March auf: »Schön, dass Sie da sind, Pete. Nehmen Sie Platz. Einen Brandy?«
    Ich bejahte, begrüßte meine Vorgesetzten und setzte mich auf einen der beiden anderen Sessel, die das Corbusier-Quintett nebst Liege komplettierten. Ich war zum ersten Mal bei March zu Hause. Die Einrichtung entsprach dem Bild, das sein Charakter vermittelte. Kühle Klassiker der Moderne, zweckorientiert, minimalistisch und teuer. Ich mochte diesen Stil, aber ich

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