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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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redete ich mit ihm, als müsse ich alle Worte noch ein letztes Mal aussprechen, bevor sie in mir versiegten. Er hatte mir versprechen müssen, es nie, niemals der Mutter oder seinem Vater zu sagen. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Er hörte still zu, hielt meine Hand und versprach es. Mein Onkel starb kurz danach auf ungeklärte Weise in den Flammen seines Hauses.
    Ich wälzte mich hin und her und versuchte, die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben. Es war, wie es war. Ich hatte noch Glück im Unglück gehabt, dass ich in der Frauenjustizvollzugsanstalt von Seattle gelandet war. Hier waren nur weibliche Wärter, es kam selten zu Vergewaltigungen durch das Wachpersonal. Dann und wann gab es eine Schlägerei oder auch mal was mit dem Messer unter den Inhaftierten, aber im Grunde ging es friedlich zu. Außerdem war die Bibliothekarin nett zu mir. Sie hatte versprochen, die Gesamtausgabe von Dostojewski zu besorgen. Ich wollte unbedingt ‹Erniedrigte und Beleidigte‹ und ‹Aufzeichnungen aus dem Kellerloch‹ lesen.

7. Die Rekrutierung
    Harry Zimbarsky, 52, Sonderbeauftragter Headhunter
    Am nächsten Morgen, kurz vor neun Uhr, wurden die Gefängnistore in Seattle für mich geöffnet. Die Aktentasche, die ich in der Hand trug, deutete für einige der Gefängnisangestellten auf einen Anwalt hin, doch dafür war ich viel zu gut gekleidet. Ich wollte etwas verkaufen. Es war die Freiheit, mit der ich Handel trieb, zumindest ein verlogener Zipfel davon. Ich lebte sehr gut davon.
    Nachdem ich den gut gesicherten Innenhof überquert und meine Personalien in der Anmeldung angegeben hatte, ging ich hinter dem Verwaltungsangestellten die langen Flure entlang. Ich mochte Gefängnisse nicht, meine Besuche vor Ort waren der unangenehme Teil dieses lukrativen Jobs. Ich war ein Headhunter, der aufgrund seiner psychologischen Ausbildung, seiner Überzeugungskraft und Zuverlässigkeit gelegentlich von der Regierung mit heiklen Aufträgen betraut wurde. Außer mir gab es nur noch einen anderen, den dämlichen Steve Harsley, dem dieses Privileg erteilt worden war. Steve lief jetzt durch die Flure des Gefängnisses in Dallas – mit dem gleichen Auftrag wie ich hier.
    Ich brummte unwillig in mich hinein. Ich hasse die Geräusche und Gerüche in Gefängnissen. Der Dunst von Kohl, der durch die Gänge wabert, das Hallen der Schritte, das Scheppern der Metalltüren, das Klappern der Schlüssel – alles kalt, unpersönlich, stillos. Ich lege großen Wert auf Stil, was ich nicht nur durch meine Kleidung ausdrücke. Meine Aktentasche ist aus feinstem Krokodilleder, ebenso wie meine Schuhe. Das Haar lasse ich stets in einem satten Kastanienbraun färben, wobei mein Friseur darauf achten muss, das Graumelierte nicht komplett zu überdecken. Das Graumelierte verleiht mir etwas Distinguiertes.
    Als ich im Büro des Gefängnisdirektors ankam, begrüßte ich diesen höflich, setzte mich erst hin, nachdem ich dazu aufgefordert worden war, und nahm ein Dokument aus meinem Aktenkoffer, das ich dem Direktor überreichte. Er las stirnrunzelnd und sagte dann: »Sie sind wegen Evelyn Karner hier. Das wurde mir telefonisch mitgeteilt. Aber wie soll ich verstehen, dass Sie sie möglicherweise mitnehmen?«
    »Dem Schreiben können Sie unschwer entnehmen, dass ich Ihnen keinerlei weitergehende Fragen beantworten darf«, entgegnete ich mit einem Hauch von Überlegenheit in meiner sonoren Stimme. »Außerdem möchte ich Sie bitten, mir für die Unterredung mit Miss Karner Ihr Büro zu überlassen, da ich die Erfahrung gemacht habe, dass die in den Besuchsräumen übliche Atmosphäre meinem Anliegen nicht förderlich ist. Es wird etwa eine Stunde dauern. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie Miss Karner gleich rufen lassen.«
    Nur mühsam schluckte der Direktor die Beleidigung, aus seinem eigenen Büro verbannt zu werden, und stapfte hinaus. Ich machte es mir bequem. Zufrieden betrachtete ich meine perfekt manikürten Fingernägel. Ich wusste, dass man mich warten lassen würde. Das machten sie immer.
    Es dauerte länger als eine halbe Stunde, bis Evelyn Karner erschien. Sie war ein kleines, zierliches, hellblondes Ding, das in den Gefängnisklamotten wie eine verkleidete Zwölfjährige wirkte. Wog nicht mehr als ein Light-Joghurt. Eine Haut wie hauchdünnes, milchweißes Porzellan. Blassblaue Augen, misstrauisch, aber auch voller Sehnsucht. Ein Vögelchen mit gebrochenen Flügeln. Reizend. Am liebsten hätte ich ihr ein hübsches Federkleid übergezogen und

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