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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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sie in eine Vitrine gestellt.
    Sie war erstaunt, statt des Direktors einen Fremden vorzufinden. Wortlos setzte sie sich auf den zweiten Sessel und schaute mich erwartungsvoll an.
    »Guten Morgen, Miss Karner«, begann ich mit einem offenen Lächeln, reichte ihr die Hand und setzte mich ihr gegenüber. »Über die Inhalte der Unterredung, die wir jetzt führen werden, weiß weder der Gefängnisdirektor noch sonst jemand in diesen Mauern Bescheid. Der Direktor weiß lediglich, dass ich im Auftrag der Regierung handele und alle Befugnisse habe, auch die, Ihre Entlassungspapiere unterschreiben zu lassen und Sie sofort mitzunehmen. Was dem Direktor überhaupt nicht in den Kram passen würde«, fügte ich lächelnd hinzu und reichte Evelyn das Schreiben, das ich auch dem Direktor vorgelegt hatte. Wenn die Damen auf diese plumpe Vertraulichkeit hereinfallen und zurücklächeln, habe ich sie schon im Sack. Die meisten jedoch warten erst einmal ab. Auch Evelyn schaute mich nur misstrauisch an, nachdem sie den wenig aussagekräftigen Wisch überflogen hatte. »Was soll das? Wer sind Sie?«
    »Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen meine weitreichenden Befugnisse unglaubwürdig erscheinen. Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten. Sie sind aus einer Reihe von Frauen ausgewählt worden, an einem speziellen Regierungsprogramm teilzunehmen. Das würde für Sie bedeuten, dass Sie sofort hier rauskommen, unter völligem Straferlass. Die Sache hat natürlich einen Haken: Sie würden die nächsten sieben Jahre, vielleicht auch nur fünf oder sechs, in einem wenig komfortablen Ausbildungslager mit anderen Frauen verbringen, würden also noch keine allzu großen Freiheiten genießen können. Aber Sie hätten es besser als hier – vor allem mit der Aussicht, nach dieser Ausbildung in ein ganz normales, selbstbestimmtes Leben mit neuen Papieren entlassen zu werden. Wie klingt das für Sie?«
    Auch mit dieser Vorrede hatte ich üblicherweise noch keinen Sieg in der Tasche. Sie wurden nur aufmerksam. Ich pflegte meinen Kundinnen Zeit zum Atmen zu lassen und Zeit zum Widerstand, denn Widerstand, das hatte ich längst begriffen, gehörte in den meisten Fällen zum innersten Wesen dieser Frauen. Man muss psychologisches Fingerspitzengefühl beweisen, Krokodillederschuhe sind nicht alles.
    »Nach einem großen Beschiss klingt das. Was für ein Regierungsauftrag? In was werde ich ausgebildet? Wieso so lange? Und vor allen Dingen, wieso gerade ich?« Evelyn hatte als Zeichen deutlicher Abwehrhaltung die Arme verschränkt und die Beine übereinandergeschlagen. Doch meine professionelle Erfahrung sagte mir, dass sie aufgeregt, also interessiert war.
    Ich nickte ihr zu. »Erst einmal zu Ihrer letzten Frage: Sie sind ausgewählt worden, weil alle Eckdaten stimmen. Hochsensibel, hochintelligent, jung, gesund und durch Ihre relativ kurze Inhaftierung psychisch noch nicht völlig kaputt. Verzeihen Sie, wenn ich so direkt bin.«
    »Soll ich Leihmutter für die First Lady spielen oder was?«, kommentierte die Kleine meine Ausführungen gereizt. Die Porzellanprinzessin hatte im Gefängnis gelernt, dass ein frontaler Angriff häufig klüger war als gelassenes Abwarten ohne Deckung. Aber ich nahm ihr die abgefuckte Nummer nicht ab.
    Ich lachte. »Um Himmels willen, nein. Sie werden ausgebildet als eine Art Bodyguard für hohe Regierungsmitglieder. Glauben Sie mir, es ist nichts Illegales dabei.«
    »Wieso nehmen Sie dann mich? Ich stehe erwiesenermaßen auf der anderen Seite. Wieso werden für solche Posten keine Leute gesucht, denen man trauen kann? Das kann man mir nicht, sonst wäre ich nicht hier. Oder brauchen Sie Killer? Dann sind Sie bei mir falsch, auch wenn Sie gegenteilige Informationen haben.«
    »Sie sollen nicht töten. Der Haken bei der Geschichte ist, ich sage es Ihnen offen, dass Ihre Ausbildung von einer medizinischen Behandlung begleitet wird. Aufgrund von biologischen Umständen, die ich Ihnen nicht näher erläutern kann – das übersteigt meine Kenntnisse –, werden Frauen bevorzugt. Und da diese Behandlung leider einige wenige Nebenwirkungen hat, werden Frauen aus Gefängnissen rekrutiert, die bereit sind, für ihre Freiheit das eine oder andere Risiko einzugehen.«
    Evelyn war hellhörig geworden bei den letzten Sätzen.
    »Ich darf Ihnen nicht alle Details offenlegen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es sich nicht um ein zweifelhaftes Experiment handelt. Die Geschichte läuft schon lange und erfolgreich. Die Nebenwirkungen

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