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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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beschränken sich zu der Zeit auf Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufstörungen und Fieberanfälle. Das ist individuell unterschiedlich, aber mehr ist keinesfalls zu erwarten. Sie sollen ähnlich wie bei einer Schwangerschaft sein, nicht schlimmer. Wägen Sie Vor- und Nachteile ab: Entweder Sie sitzen Ihre lebenslängliche Haftstrafe ab, siechen hier vor sich hin. Das war›s dann. Auf der anderen Seite steht die sofortige Entlassung. Sie gehen heute noch mit mir durchs Tor. Ich bringe Sie zu einem Agenten, der Sie ins Ausbildungszentrum begleiten wird. Dort treffen Sie Ihre künftigen Kolleginnen. Ich mache diesen Job seit Jahren. Bisher habe ich neun Frauen aus Gefängnissen geholt, und keine hat es bislang bereut.«
    »Da sind noch andere?«, fragte Evelyn grübelnd.
    Sie hatte angebissen, das war mir in dieser Sekunde klar.
    »Einige gehören schon sehr lange zum Programm. Es geht ihnen prächtig. Diese Frauen würden Sie ausbilden. Außerdem sind da eine Psychologin und ein berühmter Professor, ein sehr liebenswerter alter Herr, der für die medizinische Seite zuständig ist und sich wirklich rührend um Sie sorgt.«
    Ich wusste, dass ich sie in der Tasche hatte und sie nun eine weitere Kröte schlucken würde. »Nachteil in diesem Zentrum ist, dass Sie die ersten Jahre unter Bewachung stehen. Aber wir haben nur gute Erfahrungen gemacht, die Frauen fühlen sich wohl. Die Aussicht auf Freiheit lässt sie diese mageren Jahre überstehen. Außerdem ist es hundertmal besser als im Gefängnis. Sie wohnen alle zusammen in einem Haus, mit gemeinsamem Wohnzimmer, hübschen Badezimmern …«
    »Gibt es eine Bibliothek?«, fragte Evelyn.
    »Wir können Ihnen besorgen, was Sie wollen«, gab ich lächelnd zurück. Nach einer Bibliothek hatte bislang nur eine gefragt, Lucy. »Aber viel wichtiger ist, dass Sie nach einigen Jahren in einer größeren Stadt eine Wohnung und eine neue Identität bekommen. Dann können Sie ganz normal leben. Wie andere Frauen in Ihrem beneidenswerten Alter auch. Nur gelegentlich werden Sie angerufen, um Ihre neu gewonnenen Fähigkeiten in den Dienst der Regierung zu stellen. Dabei handelt es sich ausschließlich um passive Terroristenbekämpfung. Aber haben Sie keine Angst, Sie werden niemals gefährdet sein. Sie arbeiten als Frühwarnsystem, dafür ist die medizinische Behandlung notwendig.«
    Ich geriet etwas ins Plaudern. Da ich inzwischen sicher war, dass Evelyn mitmachen würde, konnte ich etwas großzügiger mit den Informationen herausrücken: »Deswegen nur Frauen, und zwar Frauen mit hohem IQ und EQ. Männer sind zu unsensibel als Frühwarnsystem, können die Zeichen nicht deuten. Die medizinische Behandlung verstärkt lediglich die offensichtlich spezifisch weibliche Fähigkeit, Stimmungen, leise Vorahnungen und Ähnliches zu entziffern. Das würde Ihnen aber alles der Professor im Ausbildungszentrum erklären.«
    »Was ist mit meinen Eltern?«
    Diese Frage brachte mich kurz aus der Fassung. Bislang waren ausschließlich Frauen rekrutiert worden, die keine direkten Verwandten mehr hatten. Offensichtlich hätte ich die Akte genauer lesen sollen. Aber schließlich war ich Profi, also verlegte ich mich aufs Improvisieren. »Sie können Ihnen schreiben, sooft Sie wollen. Allerdings müssen Sie Stillschweigen bewahren über die Einzelheiten des Projekts. Deswegen werden die Briefe kontrolliert, eine hoffentlich verständliche Maßnahme.«
    »Wie im Knast.« Evelyn war enttäuscht.
    »Nicht ganz. In einigen Jahren können Sie Ihre Eltern zu sich nach Hause einladen oder sie besuchen. Vielleicht auch mal mit ihnen in den Urlaub fahren. Das sind Perspektiven, die Ihnen ansonsten völlig verschlossen bleiben würden.«
    Evelyn zögerte. Sie wusste, dass das nicht alles sein konnte. Aber sie spürte auch, dass sie von mir nicht mehr erfahren würde. Ich hatte genug geplaudert und schob mein Anschreiben in meinen Aktenkoffer zurück. Jetzt war es an ihr.
    »Wie lange habe ich Zeit, mir Ihr Angebot durch den Kopf gehen zu lassen?«
    »Zehn Minuten. Schätze, der Direktor will wieder in sein Büro.«
    »Was passiert, wenn ich Nein sage?«
    »Sie bleiben hier, das ist alles. Ich verpflichte Sie zum Schweigen über unsere Unterredung. Falls Sie doch etwas verlautbaren, schätze ich, wird man Mittel und Wege finden, Sie einzuschüchtern. Tut mir leid, das klingt wie eine Drohung, aber mit diesem Part habe ich nichts zu tun. Ich bin lediglich hier, Sie von dem Angebot zu überzeugen, und glauben Sie mir,

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