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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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ich wäre froh, wenn Sie es annähmen.«
    »Sie bekommen wohl Provision?«
    Ich grinste freundlich. »Ja. Aber da ist noch eine andere Sache. Wenn Sie ablehnen, muss ich weiterreisen. Im gesamten Land wurden nur acht Frauen ausgewählt, denen das Angebot unterbreitet wird. Ist Ihnen klar, dass Sie einen sehr hohen Intelligenzquotienten besitzen und Ihr Emotionaler Quotient wirklich den Rahmen des Üblichen sprengt? Sie sind etwas Besonderes. Bitte, zwingen Sie mich nicht, zu den beiden Reservefrauen fahren zu müssen. Die eine sitzt in New Orleans, die andere in San Diego! Tun Sie mir das nicht an, ich will endlich nach Hause!« Ich schaute die Kleine so flehentlich an, dass sie lächeln musste.
    »Würden wir wirklich sofort von hier verschwinden?«
    »Sofort! Wenn der Direktor zurückkommt, lasse ich Ihre Entlassungspapiere unterschreiben. Das war’s. Oder wollen Sie sich noch von jemandem verabschieden? Das wäre wegen der Geheimhaltung etwas heikel.«
    Evelyn überlegte kurz. »Kann ich für die Bibliothekarin eine Nachricht hinterlassen?«
    »Ich muss sie aber kontrollieren.« Ich reichte Evelyn einen Stift und ein Stück Papier. Als sie mir den Zettel zurückgab, las ich: Liebe Anna, ich werde ›Erniedrigte und Beleidigte‹ hoffentlich nicht mehr brauchen. Trotzdem vielen Dank. Für alles. Ev.
    Während der Direktor übellaunig die Entlassungspapiere unterschrieb, warf ich Evelyns Zettel unbemerkt in den Papierkorb. Wie blöd war die Kleine?

8. Projekt ›Cassandra‹
    Lucy, 43, Sensor Stufe 10
    Wieder einmal war es dem Professor gelungen, mich zu überreden. Dabei hasste ich es, ins Lager zurückzukehren, auch wenn es nur für wenige Stunden war. Ich hasste es aus tiefstem Herzen, wieder zwischen den Wellblechbaracken, Betonbunkern und Hangars durchzuschreiten, die vom Schweiß brennenden Augen unter der gleißenden Sonne zusammenzukneifen, den Staub einzuatmen, den Dunstkreis der Schatten zu betreten, Walcott grußlos gegenüberzustehen und damit meiner eigenen Vergangenheit an diesem verdammten Ort, den ich am liebsten ganz aus meinem Gedächtnis gestrichen hätte.
    Glücklicherweise würde ich in sechs Stunden in Albuquerque ein Flugzeug besteigen und in der gleichen Nacht noch zurück in Washington sein. Dort hielt Katya die Stellung, hielt sozusagen dem Präsidenten das zittrige Händchen. Der fürchtete, sobald eine seiner beiden Zehner-Ratten, also Katya oder ich, die Stadt verließ, stets einen sofortigen und vernichtenden Anschlag auf sein Leben. Stringentes Denken gehörte nicht zu den hervorstechenden Eigenschaften unseres Präsidenten. Mir konnte es in diesem Falle nur recht sein. Seine Paranoia hatte mir das Ticket für den heutigen Rückflug verschafft.
    Doch nun saß ich erst einmal im Sitzungssaal des Lagers neben Schmelzer und ließ meinen Blick über die acht Neuankömmlinge schweifen. Außer mir und Schmelzer hockten die Psychologin am Konferenztisch, die ich nur flüchtig kannte, und Tina, die dienstälteste Ratte vor Ort. Walcott hatte sich einen Stuhl neben den Tisch stellen lassen, um seine – zumindest von ihm selbst angenommene – außerordentliche Position zu unterstreichen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches hatten in lockerer Sitzordnung die neu rekrutierten Frauen Platz genommen. Ich konnte ihre Nervosität körperlich spüren, obwohl die meisten sie recht geschickt verbargen. Ich wusste nichts über die jungen Frauen, die vor mir saßen und die ab sofort unser Schicksal teilen sollten. Nur, dass sie alle zwischen neunzehn und sechsundzwanzig Jahren waren und nach Aussage des Generals »die übliche Truppe verlogener Mörderinnen und drogenabhängiger Schlampen«. Doch auf die Meinung des Generals hatte ich noch nie auch nur irgendetwas gegeben. Schließlich wusste ich, wie rasant ein Todesurteil ausgesprochen wurde, wie nach gesundem Menschenverstand gerechtfertigte Taten per Rechtsprechung zu dem Unrecht führten, ein gerade begonnenes Erwachsenenleben per Stempel auf einem Stück Papier zu beenden. Ich wusste verdammt gut, wie diese Frauen sich fühlten, die jegliche Hoffnung auf ein Stück Zukunft, auf einen Rest Leben aufgegeben hatten und jetzt nach dem Strohhalm griffen, der ihnen irgendetwas versprach, irgendetwas, von dem sie nicht wussten, was es war oder werden würde.
    Als die kleine Braunhaarige, die schon zum zweiten Mal auf die Toilette flitzte, wieder Platz genommen hatte, nahm Schmelzer seine Lesebrille von der Nase, putzte sie mit einem

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