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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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gemeinsam mit Sarah abtransportiert worden war. Ob Sarah vielleicht sogar neben seinem Sarg hatte sitzen müssen. Mich überkam eine Gänsehaut. Ich schüttelte den gruseligen Gedanken ab und ging in den Raum.
    Als ich mich zu den Kästen mit dem Wasser beugte, fiel mir ein großer Pappkarton auf, aus dem ein blutiger Stofffetzen lugte. Ohne darüber nachzudenken, öffnete ich die Schachtel. Ich erkannte den Inhalt sofort: Es waren die Klamotten, die Sarah vorgestern getragen hatte. Und all ihre Sachen. Sogar der Armreif mit dem Lapislazuli, den sie immer trug, war in der Kiste. Hatte sie denn gar nichts mit zurück in den Knast …?
    Erschrocken hielt ich inne. Ich schloss die Kiste hastig, nahm zwei Flaschen Wasser und ging über den Hof zu unserem Wohntrakt. Als ich an Isabels Zimmer vorbeikam, stoppte ich und öffnete ihre Tür, ebenso absichtslos, wie ich die Kiste geöffnet hatte. Isabel lag auf ihrem Bett. Sie war wach, komplett angekleidet, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schaute gegen die Zimmerdecke. Sie sah aus wie immer. Als hätte sie nicht geschlafen, als würde sie niemals schlafen.
    Isabel wandte langsam den Kopf. Ich hatte die Türklinke noch in der Hand. Ich wusste nicht genau, was ich hier wollte. Isabel fragte nicht danach. Sie sah mich nur an. Da platzte es aus mir heraus: »Im Kühlraum steht eine Kiste mit Sarahs Sachen. Ich meine, mit allen … weißt du, was ich meine?«
    Isabel drehte ihren Kopf ungerührt wieder zur Zimmerdecke. »Sag bloß, das überrascht dich. Was hast du denn gedacht? Dass sie Sarah wirklich in den Knast zurückbringen?« Damit war die Konversation für sie erledigt. Sie begann zu singen: »Zehn kleine Negerlein …«
    Ich schloss leise die Tür und stand geschockt auf dem Flur herum. Sarah war tatsächlich mit Gustafsson gereist. Nur dass sie nicht neben ihm gesessen, sondern gelegen hatte. Ebenfalls in Blech. Wie in Trance ging ich zurück auf mein Zimmer. Ich fragte mich, ob ich weiterhin an meiner positiven Einstellung würde arbeiten können. Meinen Durst hatte ich vergessen. Ich schaute verständnislos auf die beiden Flaschen in meinen Händen.

13. Geständnis
    Lucy, 43, Sensor Stufe 10
    Ich war beim Einkaufen, griff planlos in die Regale und füllte meinen Korb auf. Es ging mir nicht gut. Ich hatte die halbe Nacht an Katyas Bett gesessen, überprüft, ob sie ruhig und regelmäßig atmete. Irgendwann war ich auf dem Sessel eingeschlafen. Nun war mein Nacken verspannt. Ich beeilte mich mit dem Einkaufen, Katya würde sicher bald aus ihrem komatösen Schlaf aufwachen. Ich wusste genau, wie sie sich fühlen würde. Sie hatte es mir einmal beschrieben, das Aufwachen nach einer Drogennacht: Sie wird die Augen aufschlagen. Rote Stofflampe an der Zimmerdecke. Die Lampe wird ihr bekannt vorkommen. Karierter Sessel mit blauem Bademantel. Ihre Finger werden über die Bettdecke tasten. Es wird unangenehm sein, als wären ihre Fingerkuppen roh. Oder wund. Der Bettbezug weich. Mit Magnolienaufdruck. Die Bilder an den Wänden. Sie begreift, sie ist zu Hause. Dennoch ist da ein leiser Störfaktor, ein kaum auszumachendes Sirren im Unbewussten, das die Harmonie des Bildes bedroht. Stofflampe, Magnolien-Bettwäsche, Sessel – die Daten umkreisen ihr Gehirn schemenhaft wie große, dunkle Vögel in der Nacht. Dann wird das Bild plötzlich scharf, es ist wie eine Angriffswelle. Die Realität vom Todesstern. Sie ist wach, auch wenn sich dieser Gedanke nur schleppend in ihrem Kopf formuliert. Irgendetwas ist gewesen, aber was? Sie fühlt sich zerschlagen. Wie lange hat sie geschlafen? Noch mal von vorne: Da ist ihre Lieblingsbettdecke. Die mit den Magnolien. Von Großmama. Dann wird sie sich langsam erinnern: Sie hat Pillen geschluckt. Nicolas, dieser Idiot! Jetzt fällt es ihr wieder ein. Er hat behauptet, die Dinger seien nicht stark. Daraufhin hat sie wohl ein paar zu viel genommen. Verwirrt setzt sie sich auf. Ihr Kopf dröhnt, ihre Zunge liegt wie ein Pelztier in der Mundhöhle. Was war dann passiert? Nach den Pillen? Oh, Scheiße, wird sie denken. Sie hat einen Job gehabt gestern Abend! Bei Noxville. War sie dort gewesen? Sie kann sich nicht erinnern. Aber wenn sie in ihrem Bett aufwacht, muss alles in Ordnung sein. Sie hofft, dass ich nichts mitbekommen habe. Aber dann erinnert sie sich dunkel an mein wütendes Gesicht. Sie sieht, wie ich den Mund lautlos aufriss, als ob ich sie anschreien würde. Sie hat nicht gehört, was ich sagte. Es war, als würde sie

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