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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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kaltem Wasser. Sie schüttete es mir ins Gesicht. Vor Schreck hörte ich auf zu schreien.
    »Mach dich sauber, du bist voller Blut. Du bleibst auf deinem Zimmer. Ich komme gleich zurück. Alles klar?«
    Ich nickte und begann, mich mechanisch zu waschen.
    Eine Stunde später war das Blut aus der Zentrale weggewischt. Gustafsson war im Kühlraum zwischen den Lebensmittelvorräten in einer Metallkiste verstaut. Eine unheimliche Stille drückte auf das Lager.
    Die meisten der Frauen hatten sich bei mir im Zimmer versammelt, um zu erfahren, was genau passiert sei. Die Kommentare waren unterschiedlich: Beifall für Sarah, Schadenfreude, was den Dänen betraf, aber auch genervtes Kopfschütteln und Angst vor den Folgen für uns alle.
    »Was wird mit Sarah geschehen?«, fragte ich.
    Wir schauten Tina an. Als einzige Sechs und somit Dienstälteste im Raum war Tina die Autorität. Isabel war nicht da. Sie besoff sich allein auf ihrem Zimmer.
    »Sie werden sie bestrafen. Vielleicht zurückschicken. Wer weiß. So was ist bislang noch nicht vorgekommen. Verdammter Mist, dass der Professor schon weg ist! Er hätte Sarah helfen können.«
    »Was ist mit Esther? Kann die nicht ein gutes Wort für sie einlegen? Immerhin ist sie unsere Psychologin«, fragte Monica vorsichtig.
    »Die dumme Ätzkuh! Die wird nur den Kopf schütteln, einen Scheiß tut die!«, sagte Becky.
    Nach einer langen Diskussion über Esther im Speziellen und das Lager im Allgemeinen warf ich die anderen aus meinem Zimmer. Ich hatte dröhnende Kopfschmerzen, wollte meine Ruhe, wollte schlafen, einfach nur schlafen, verhindern, dass sich neue blutige Bilder zu den alten in meinen Kopf einbrannten.
    Am nächsten Morgen traf General Walcott ein. Seine schreiende Fistelstimme war vom Casino über den ganzen Hof zu hören. Wir Frauen hatten Anweisung, in unserer Baracke zu blieben. Wir saßen verunsichert in Grüppchen zusammen, beratschlagten, diskutierten oder machten dumme Witze, die die Gespenster der Nacht vertreiben sollten. Ich hing im Wohnzimmer ab, blieb aber still. Ich hatte ein Buch aufgeschlagen, tat aber nur so, als ob ich lesen würde, um nicht in die Gespräche einbezogen zu werden.
    Aus der Küche bekamen wir ein paar Platten mit Schnittchen gebracht. Der Tag zog sich endlos.
    Am Abend wurden wir ins Casino gerufen. Angespannt und ängstlich überquerten wir den Hof. Schweigend. Nicht einmal Ann und Karen rissen mehr Witze. Wir setzten uns wortlos hin. Walcott hatte sich neben der Essensausgabe aufgebaut. Auch alle Schatten waren anwesend. Als Ruhe eingekehrt war, begann Walcott zu sprechen: »Sarah wurde heute ins Gefängnis zurückgebracht, wo sie ihre lebenslängliche Strafe absitzen wird. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass, falls es noch einmal zu einem solchen Vorfall kommt, Sie alle, beteiligt oder nicht, auf einige Ihrer Bequemlichkeiten werden verzichten müssen. Guten Appetit.« Walcott ging hinaus.
    Im Casino erhob sich zuerst zaghaft, dann immer lauter das übliche Klappern mit Besteck und Geschirr.
    »Was meint der mit Aufhebung der Bequemlichkeiten?«, fragte ich flüsternd die neben mir sitzende Becky.
    »Der Dreckskerl meint nicht die Rationierung des Fingernagellacks, das kannst du mir glauben! Der meint Konfiszierung der persönlichen Gegenstände, Sprechverbot, Prügel, Einzelhaft und so weiter. Knastleben hoch drei!«
    Ich verstummte. Versenkte meine Gabel in den unnatürlich grau-grünen Dosenerbsen, ohne davon zu kosten. Der Appetit war mir vergangen. Für den Rest des Abends zog ich mich in mein Zimmer zurück. Die anderen hingen im Wohnzimmer herum, sahen fern oder spielten Karten. Ich hörte sie reden und lachen. Als wäre alles ganz normal.
    Am nächsten Morgen wachte ich gegen sechs Uhr in der Frühe auf. Ich hatte schon wieder Kopfschmerzen. Meine Kehle war ausgedörrt und kratzig. Ich stand auf, ging in die Küche zum Kühlschrank, dann zum Getränkeautomaten. Nirgends gab es etwas zu trinken. Der Tisch im Wohnzimmer stand voller leerer Flaschen und zerknautschter Dosen.
    Ich zog meinen Bademantel über und ging zur Casinoküche. Die Angestellten waren schon bei der Arbeit. Freundlich fragte ich einen der Gehilfen, ob ich eine Flasche Wasser haben könnte. Er schickte mich in den Kühlraum. Ich hoffte, dass Gustafsson sich nicht mehr dort befand. Als ich die schwere Tür öffnete, warf ich zuerst einen vorsichtigen Blick in den mit Metall ausgekleideten Raum. Die große Kiste war weg. Ich fragte mich, ob der Däne gestern

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