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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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einen nach Luft schnappenden Fisch in einem Aquarium beobachten. Sie wird sich aus der Bettdecke schälen. Dann wird ihr schwindlig und übel.
    Ich stand an der Kasse und zahlte. Der Mann an der Kasse roch unerträglich nach Knoblauch. Ich hoffte, dass es Katya richtig schlecht ging, wenn sie aufwachte. Ich war wütend auf sie. Gleichzeitig wollte ich, dass es ihr gut ging. Ich konnte ihr einfach nicht die Pest an den Hals wünschen, dafür liebte ich sie zu sehr.
    Als ich nach Hause kam, bewegte ich mich leise. Vielleicht schlief sie ja noch. Hinter der Küchentür stieß ich fast mit ihr zusammen. Ich erschrak, ließ die Tüten fallen. Ein Tetrapak Orangensaft zerplatzte. Ich bückte mich fluchend, um die in der Küche herumkullernden Äpfel einzusammeln. Ohne von der Obsternte aufzublicken, herrschte ich Katya sauer an: »Du putzt die Sauerei auf!«
    Ohne ein Widerwort nahm sie den Putzlappen, ging auf die Knie und wischte den Orangensaft auf. Ich legte die Äpfel in eine Schale und packte still den in den Einkaufstüten verbliebenen Rest an Lebensmitteln aus. Sie wusch den Lappen aus. Ich sagte kein Wort. Sie wartete auf ein Donnerwetter. Mein Schweigen verunsicherte sie.
    »Lucy, es tut mir leid. Aber ich weiß leider nicht genau, was mir leidtun muss. Totaler Filmriss. Kannst du mir auf die Sprünge helfen?«
    »Setz dich, wir müssen uns unterhalten.«
    »So schlimm?«, fragte sie kleinlaut, nahm ein Schälchen aus dem Schrank, schüttete Cornflakes hinein, Milch darüber und setzte sich an den Tisch.
    »Schlimmer«, sagte ich und goss mir Kaffee ein, den Katya schon aufgebrüht hatte.
    »Ich weiß nur noch, dass ich gestern Mittag ein paar Pillen eingeworfen habe.«
    »Gestern? Du hast einen Filmriss von zweieinhalb Tagen!«
    »Du spinnst!« Vor Schreck ließ sie ihren gefüllten Löffel wieder zurück in die Müslischale sinken.
    »Wenn hier eine spinnt, dann bist du das! Stell dir mal vor, ich wäre wie geplant zu dem Vortrag an der Uni und dann ins Kino gegangen. Glücklicherweise hatte ich keine Lust auf Menschenmengen und kam gerade noch rechtzeitig nach Hause, um dich im Koma vorzufinden, dir den Magen auszupumpen und deinen Job bei Noxville zu übernehmen …«
    »Was? Ich bin gar nicht dort gewesen?« Ihre Überraschung schien fast noch größer als ihr schlechtes Gewissen.
    Ich schwieg vorwurfsvoll.
    »Lucy, es tut mir so leid. Was für eine Scheiße! Ich hab gedacht, die Pillen wären nur ’ne lockere Dröhnung, und … und … so’n Routinejob wie bei Noxville schaffe ich auch mit einer kleinen Ruhigstellung.« Sie begann vor Scham zu stammeln.
    »Das war kein Routinejob. Wir hatten einen Alarm erster Stufe.«
    Katya sank immer mehr in sich zusammen, als ich ihr von den Ereignissen erzählte.
    »Wenn ich nicht da gewesen wäre … Die hätten das Essen abgesagt und uns die Freistellung entzogen. Oder noch besser: Der Präsident wäre in die Luft geflogen. Was Walcott dann mit uns gemacht hätte, brauche ich dir nicht zu sagen! Was soll dieser Mist mit den Pillen überhaupt? Schmelzer hat angerufen. Er ist in Washington. Wir sollten gestern zur Kontrolluntersuchung kommen. Ich hab’s auf nächste Woche verschieben können. Hoffentlich ist dein Blutbild bis dahin sauber. Warum machst du das, verdammt noch mal?«
    Ich war stinksauer. Als Katya das Ausmaß der Katastrophe klar wurde, die sie beinahe verursacht hätte, fing sie an zu heulen. Ich hatte absolut recht, das wusste sie. Trotzdem versuchte sie aus einem Reflex heraus, sich zu rechtfertigen.
    »Schau mich bitte nicht so an. Mir geht’s in letzter Zeit wirklich beschissen. Ich habe schreckliche Albträume, fast jede Nacht. Ich kann kaum noch schlafen. Ich wollte doch nur mal ein paar ruhige Minuten … Ruhe vor dem ganzen Mist, vor mir! Du hast ja keine Ahnung, was ich getan habe, ich bin das letzte Stück Dreck, das kannst du mir glauben!«
    Sie stöhnte qualvoll auf und schlug mit beiden Fäusten gegen ihre Stirn.
    Ich erschrak. Hielt ihr die Hände fest: »Was ist denn los?«
    Sie sah mich an. »Lucy. Seit zehn Jahren kennen wir uns, waren selten länger als zwei, drei Tage getrennt. Sechs Jahre Roswell. Vier Jahre Washington. Über unser Leben davor haben wir nie geredet. Wir haben nie darüber geredet, dass wir nie darüber reden. Ich kenne niemanden so gut wie dich. Dennoch gibt es so viel von dir, von dem ich nichts weiß. Niemand kennt mich so gut wie du. Dennoch gibt es so viel von mir, von dem du nichts weißt. Wir stehen morgens

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