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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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beschlossen, Ann einzuladen. Sie war zwar manchmal etwas stressig, aber dafür intelligenter und flexibler als Karen. Aus der Stufe null hatte Schmelzer ausgewählt. Ich fand es schön, dass Evelyn kommen sollte, ich hatte sie vom ersten Moment an gemocht. Dass Schmelzers Wahl auch Pete in die Hände spielte, erfuhr ich erst später.

24. Hoffnungsschimmer
    Marc, 32, Aussteiger
    Ich war zufrieden mit dem Verlauf der letzten Wochen. Eine Literaturdozentin an der Uni plante, demnächst in Mutterschutz zu gehen, und der Dekan hatte noch keinen Ersatz für sie. Ich bekam den Job, befristet erst einmal auf ein Semester und – falls alles gut lief – mit Aussicht auf ein weiteres anschließend. Geld gab es nur wenig, aber das überraschte mich nicht. Die Universitäten investierten kaum noch in schöngeistige Fächer. Die meisten Kinder finanzkräftiger und bestechungswilliger Eltern – und nur diese konnten sich ein Studium überhaupt leisten – schrieben sich in den wirtschafts- oder naturwissenschaftlichen Zweigen ein. Das Gros der Literaturstudenten setzte sich seit Jahren aus verträumten Frauen und romantisierenden Schwulen zusammen, einer weichgespülten Bande von verhinderten Schriftstellern. Natürlich freute ich mich über jegliches Interesse, das der Literatur entgegengebracht wurde, aber schon damals, als ich selbst noch studierte, hatte ich mir etwas mehr Pfeffer im Arsch der Kommilitonen und Kommilitoninnen gewünscht. Abendliche Novalis-Lesungen bei Kerzenschein und Hirseplätzchen waren noch nie mein Fall gewesen. Ich bevorzugte die aggressiven Slam-Poetry-Söhne, die geistigen Töchter einer Kathy Acker, die ihren Ekel vor der Welt in verbalen Schleimbrocken ausspuckten. Unter diesen Hard-boiled-Rotzlöffeln befand sich der eine oder andere, dem ich die Sinne für Huysmans oder Bataille öffnen konnte. Für das kommende Semester plante ich ein Seminar über die Konstruktion der Männlichkeit bei Hemingway und Melville. Ich war gespannt, wie viele Studenten sich bei mir einschreiben würden. Vielleicht hatte ich ja Glück, und es würden sich fruchtbare Auseinandersetzungen ergeben. Mir jedenfalls bereitete es großes Vergnügen, mich auf die Vorlesungen vorzubereiten.
    Ich schlug Hemingways ›Männer ohne Frauen‹ zu und legte das Buch auf einen turmhohen Stapel in der Ecke meines mit Notizzetteln und kopierten Artikeln überladenen Schreibtisches. Vor einer Woche war ich hier eingezogen. Außer dem Schreibtisch standen nur ein Bettsofa, ein kleiner Beistelltisch und eine Pflanze im Zimmer. Ein Regal würde ich noch besorgen müssen, bislang lagen die Bücher auf dem Boden verstreut zwischen den Schuhen und meinen beiden Koffern, in denen all meine Klamotten waren. An der Wand hing ein ungerahmtes Foto von Caroline, Charlie und Ev. Ich machte es mir auf dem Bett bequem und schloss die Augen. Es ging mir gut. Vielleicht würde sogar meine Seele wieder heilen, und ich könnte das Grauen der letzten Jahre vergessen. Wenn ich Ev freibekäme. Wenn ich wüsste, dass es auch ihr wieder gut geht. Ihre Unversehrtheit war die Absolution, die ich der Welt erteilen wollte. Ich dachte mit tiefer Bitterkeit an die Ereignisse zurück, die meine Familie auseinandergerissen hatten, an den Stein, der die Lawine ins Rollen brachte. An den Stein, mit dem Ev den Schädel dieses Idioten zertrümmerte. Der Stein, der sie und mich entwurzelt hatte, mich in Evs Geheimnis einweihte, zum tödlichen Vollstrecker an meinem Onkel werden ließ und mich damit in die Fangarme von Conrad trieb. In eine Zukunft voller Blut und Schuld. Ich glaubte nicht daran, diese Schuld je tilgen zu können. Sühnen, ja, einen Bruchteil vielleicht von den vergossenen Blutstropfen und Tränen, die ich verursacht hatte. Ich konnte um diese Gnade nicht beten, da mein Gott gestorben war, als sich hinter Ev die Gefängnistore geschlossen hatten. Wenn Ev frei wäre, könnte ich vielleicht von vorne anfangen. Ich hoffte es inbrünstig. Für mich, für sie. Und ich spürte im letzten versteckten Winkel meines Herzens, dass ich zaghaft begann, daran zu glauben.
    Charlie und Caroline hatte ich einen Brief geschrieben. Laut Petes Auskünften war diese überkommene Art der Kommunikation die sicherste. Wie mein Freund beim Secret Service vorsichtig angedeutet hatte, war bei Caroline die offizielle Meldung eingegangen, dass Ev bei der Verlegung in ein anderes Gefängnis durch einen Unfall zu Tode gekommen sei. Pete hatte eine andere Version nicht durchsetzen

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