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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Seminar zu beantragen und auch mit all seiner Macht zu befürworten. Auch Pete hatte sich meinen Beweggründen gegenüber zugänglich gezeigt, und so trafen sich die Verantwortlichen heute, um über den Antrag zu entscheiden. Dass Katya und ich dabei nicht in erster Linie die Ausbildung der Neuen im Auge hatten, sondern vielmehr eine Art konspiratives Treffen mit Erykah, der Acht aus Frisco, anstrebten, das verschwiegen wir wohlweislich. Die Sache war zu brisant, zu vage. Wir wussten nur, dass es eine Angelegenheit war, über die wir besser schwiegen. Ich sprach nicht einmal mit Pete darüber. Ich hatte zwar vorsichtige Andeutungen gemacht, jedoch festgestellt, dass er wie jeder andere »Normale« Lichtjahre vom Universum unserer Empfindungen entfernt war. Er sah gewisse Probleme, er beurteilte, wog ab, verwarf oder suchte nach rationalen Lösungen. Aber ihm war das Ausmaß der Bedrohung nicht klar – wie auch, wo sich selbst Katya und ich trotz unserer hochgezüchteten Feinnervigkeit noch auf einem nebulösen Erkenntnisstand befanden.
    Deswegen wollten wir Erykah treffen. Wir hofften, von ihr zu erfahren, was mit Sybil vor ihrem Tod passiert war. Und wir hofften, nein, wir fürchteten eine Bestätigung unserer eigenen Wahrnehmungen. Erst vor Kurzem hatten Katya und ich uns ausgesprochen und mit Erschrecken unseren ähnlichen Eindruck von der Situation festgestellt. Unser viel zu langes Schweigen war der Angst vor einer möglichen Überreaktion, vor einer Art Kontrollverlust über die eigenen Differenzierungen geschuldet gewesen, die wir uns nicht leisten konnten. Als wir uns nun endlich gegenseitig ermutigten, den Vorgängen, den Dingen, den Gefühlen, dem Brodeln, der wiederkehrenden Übelkeit, der Ursache unserer insgeheim flatternden Nerven und dumpfen Ahnungen einen Namen zu geben, schien das alles ungeheuerlich. Wir konnten und wollten uns nicht darauf verlassen. Wenn es stimmte, was wir vermuteten, dann musste Sybil es auch gespürt haben, dann musste Erykah zumindest eine leise Ahnung haben. Egal, wie weit weg sie von Washington war.
    So saßen wir bei unserem Glühwein, besprachen alles Mögliche, plauderten über Männer und das Raffinement der neuesten Kollektion von Slahedin Hashemi und versuchten, unsere Ungeduld zu unterdrücken, bis Pete auftauchen würde. Er hatte versprochen, nach der Sitzung vorbeizukommen.
    »Hast du überhaupt keinen Bezug zur Religion?«, griff Katya meinen Spott über weihnachtsduselige Zeitgenossen auf.
    »Den habe ich sehr wohl. Ich bin in keinem sehr christlichen Haushalt aufgewachsen. Bei uns zu Hause war das ganze Getue nur Fassade. Aber einige Lehrer in dem Internat, in dem ich viele Jahre verbracht habe, scheuten sich keineswegs, uns Mädchen mit der Erbsünde, dem Höllenfeuer und dem ganzen Quatsch vom Masturbieren abzuhalten. Ich habe aber irgendwann mitbekommen, dass dieser Dogmatismus pure Heuchelei war. Glücklicherweise, denn vor dieser Entdeckung hatte ich eine echt religiöse Phase, fast fanatisch, würde ich sagen.«
    Katya forderte mich zum Erzählen auf, um die Wartezeit zu überbrücken.
    »Meine Eltern ließen mich, bis ich acht war, zu Hause von Privatlehrern unterrichten. Ich hatte kaum Kontakt zu Gleichaltrigen, huschte meist unbeachtet zwischen den Erwachsenen herum. Wenn ich meiner eleganten Mutter zwischen die Füße geriet, trat sie, bildlich gesprochen, auf mich drauf und kickte mich weg wie eine Wanze. Sie spielte nur die liebende, fürsorgliche Mutter, wenn wir Besuch hatten und sie die mit Seidenkleid und Schillerlocken getarnte Wanze am Klavier präsentieren konnte.«
    »Was war mit deinem Vater?«, unterbrach Katya.
    »Ein Schwächling. Oder ich war ihm einfach egal. Jedenfalls hat er nie versucht, sich gegen meine Mutter zu behaupten. Er ging seinen Geschäften an der Börse nach, brachte mir gelegentlich Spielzeug mit nach Hause, das er sicher von seinem Sekretär hat besorgen lassen, und streichelte mir dann und wann geistesabwesend über den Kopf.«
    »Und wie hast du davon eine religiöse Macke gekriegt?«
    Ich lachte. »Macke, das trifft’s. Weil ich so auf mich allein gestellt war, begann ich, wie vermutlich jedes Kind in einer solchen Situation, mir meine eigene Phantasiewelt zu schaffen. Ich stellte mir vor, ich wäre eine Prinzessin und meine Mutter eine böse Hexe, die meine richtige Mutter verspeist hat und jetzt mich aus dem Weg räumen wollte. Irgendwann hörte ich die Story von dem Kind, das ganz anders war als alle anderen

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