Animus
Kinder und hinter dem jemand her war, um es zu töten. Und dass dieses Kind Gottes Sohn war. Ich zog die logische Konsequenz – bei den Ähnlichkeiten im Lebenslauf –, dass ich Gottes Tochter sein musste.«
»Total logisch«, bestätigte Katya spöttisch.
»Dumme Kuh«, kommentierte ich Katyas Hohn, doch ich erzählte weiter. »Ich wollte natürlich alles über Gott, meinen wirklichen Vater, wissen und was dann mit Jesus passiert ist und so. Es war kein allzu großer Schock für mich, dass mein Vater hier auf Erden nicht mein wirklicher Vater war, schließlich war meine Mutter auch nicht meine Mutter, das passte alles zusammen. Gott hatte ihn als Spielzeuglieferanten für mich bereitgestellt. Wie Josef für Jesus. Ich fand es nur etwas schofel von Gott, dass er mir nicht so ’ne nette Mutter wie Maria verabreicht hatte, aber daraus schloss ich, dass ich wohl noch härter geprüft werden würde als mein Bruder Jesus durch den Teufel in der Wüste. Meine Eltern merkten, dass etwas mit mir schieflief, also steckten sie mich ins Internat. Irgendwann dämmerte mir, dass der Gedanke, ich sei Gottes Blutsverwandte, etwas vermessen sein könnte, und ich investierte nun meine komplette Energie in Schuldgefühle wegen meiner Vermessenheit. Ich übte mich in Demut und in Kasteiung. Ich aß kaum noch etwas und stellte mich im Winter im Nachthemd ans offene Fenster, bis ich blau angelaufen war und mir die Zähne den Rest der Nacht klapperten. Das erschien mir als angemessene Strafe für meine Arroganz.«
»Und wie bist du von dem Trip wieder runtergekommen?«, fragte Katya. Sie schien belustigt.
»Wir hatten einen Religionslehrer, den ich selbstverständlich ungemein verehrte. Er wusste so viel über Gott, war ihm sicher viel näher als ich und würde nie solche übergroße Schuld auf sich laden wie ich. Für mich war er ein Heiliger.«
Eines Nachts hatte ich einen Traum, eine Vision, und ich lief in das Zimmer unseres Religionslehrers, um die göttliche Botschaft von ihm entschlüsseln zu lassen. Ohne darüber nachzudenken, riss ich seine Tür auf. Im Zimmer stand eines der Mädchen aus meiner Klasse. Sie war splitternackt, Tränen liefen stumm über ihre Wangen, und unser Lehrer kniete vor ihr und leckte sie zwischen den Beinen. Er hatte seine Hose heruntergezogen und hantierte mit seinem Penis. Ich verstand nicht, was genau ablief, aber ich fühlte, dass es eine große Sauerei war. Ich lief davon.«
»Was ist dann passiert?«, fragte Katya wissbegierig.
»Ich hatte eine Lungenentzündung vom demütigen Herumstehen am offenen Fenster, lag fiebernd zwei Wochen auf der Krankenstation. Als ich zurückkam, war der Lehrer weg. Das Mädchen auch. Ein paar Tage später holten mich meine Eltern ab. Sie waren selbstverständlich empört, und ich wurde wieder von Privatlehrern unterrichtet. Heute halte ich es mit diesem spanischen Regisseur aus dem letzten Jahrhundert, Luis Buñuel hieß er: Gott sei Dank bin ich Atheist. Hübsch, nicht?«
»Meine Fresse«, fasste Katya zusammen und nippte an ihrem Glas Glühwein, das sie die ganze Zeit über unbeachtet in ihren Händen gehalten hatte.
»Wie war das denn bei dir mit der Religion?«, fragte ich.
»Ganz anders.« Katya wollte schon mit ihrer Erzählung beginnen, als es an der Tür klingelte.
»Das muss Pete sein.« Ich stand auf, um zu öffnen.
Pete küsste mich zur Begrüßung, doch ich schob ihn zurück.
»Geh weg, deine Nase ist kalt.«
»Wirklich schweinisch draußen. Wir werden einen harten Winter bekommen.«
»Ja, das werden wir«, murmelte Katya im Wohnzimmer.
Pete zog Jacke, Schal und Handschuhe im Flur aus und warf den Kram achtlos auf das Schränkchen unter dem Garderobehaken. Offensichtlich fühlte er sich bei uns ganz zu Hause. Ich schlang den Arm um ihn und ging mit ihm hinein.
Pete schnupperte. »Nach was riecht es denn hier so gut?«
Er ließ sich zu Katya aufs Sofa fallen und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Selbst gemachter Glühwein«, sagte Katya stolz.
»Wunderbar! Habt ihr noch welchen?« Pete schien begeistert.
»Der schmeckt scheußlich«, warnte ich ihn.
Katya war sofort beleidigt. »Gar nicht, ich mach dir einen. Und mir auch. Nur Lucy bekommt keinen mehr. Die soll sich ans offene Fenster stellen und schämen.«
Ich warf Katya ein Kissen hinterher, als sie sich grinsend in die Küche verzog.
Pete runzelte die Stirn. »Habt ihr Stress miteinander?«
Ich musste lachen. »Nein, das war ein Insidergag.« Wir küssten uns. Kurz darauf
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