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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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können, die Verantwortlichen für das Projekt wollten jeglichen Kontakt zu den Verwandten abbrechen. Ich hatte die Todesnachricht nicht erhalten, weil ich mit Ev nicht blutsverwandt war und einen anderen Namen trug. Vor acht Tagen hatte ich mich mit meiner neuen Adresse wieder den Behörden gemeldet, hatte angegeben, die letzten beiden Jahre in Südamerika verbracht zu haben. Jetzt waren meine Daten schon in allen Computern. Ich hatte wieder begonnen zu existieren. Zumindest auf dem Papier, am Rest würde ich arbeiten.
    Glücklicherweise war mein Brief bei Caroline und Charlie zwei Tage vor dem staatlichen Kondolenzschreiben eingegangen. Gemäß Petes Weisung hatte ich die Zusammenhänge im Dunkeln gelassen, sie aber auf die Todesnachricht vorbereitet und ihnen deren Nichtigkeit klargemacht. Ich bat um ihr Vertrauen, setzte sie mit verschlüsselten Worten in Kenntnis, dass Pete uns helfen würde und dass sie Ev irgendwann wohlbehalten in ihre Arme schließen könnten. Sie müssten sich allerdings gedulden. Monate, vielleicht ein Jahr noch. Aber ich würde sie auf dem Laufenden halten und mein Bestes tun. Caroline hatte geantwortet, dass mein Bestes sicher gut genug und sie froh sei, wenn auch halb wahnsinnig vor Ungewissheit. Auch Charlie hatte ein paar Zeilen geschrieben, in denen er nur mühsam seine Gefühle verbergen konnte. Unter dem Antwortbrief war ein Pfotenabdruck von Devil, der mir fast die Tränen in die Augen trieb.
    Mit diesen Gedanken schlief ich ein. Das Schrillen des Telefons riss mich aus unruhigen Träumen. Fluchend nahm ich den Hörer ab. Es war Pete. Er nannte wie üblich keine Namen am Telefon.
    »Hallo, hier ist der Schachgroßmeister, ich gehe gleich mit einer Freundin … AUA, lass das! … Ich gehe gleich mit meiner Freundin in den Pavillon im Uni-Park was essen. Ich wollte fragen, ob du Lust hast mitzukommen.«
    »Will ich eine Frau kennenlernen, die auf dich reingefallen ist? Die muss bescheuert sein!«
    »Im Gegenteil. Wir treffen uns um neun.«
    Bevor ich etwas sagen konnte, hatte Pete aufgelegt. Ich streckte meine steifen Knochen, zog meine Klamotten aus und stieg unter die Dusche.
    Etwa eine Stunde später betrat ich den Pavillon. Es herrschte geschäftiges Treiben, der Laden wurde stark von Studenten frequentiert. Pete winkte mir von einem Tisch an der Wand, und ich bahnte mir einen Weg durch den Raum. Die Frau an Petes Seite schien etwas älter zu sein als er, aber sie besaß Klasse. Als ich am Tisch anlangte, schaute ich ihr freundlich in die Augen und lächelte sie an.
    »Gib dir keine Mühe, sie gehört mir«, begrüßte mich Pete.
    »Kaum erlaubt man einem Mann, seine Zahnbürste mitzubringen, schon spielt er den Macker.« Lucy lachte laut.
    Ich mochte sie sofort. Ihre Stimme klang ein wenig rauchig, und ihr herbes, leises Lachen perlte wie teurer Champagner. Nach dem Austausch erster ungezwungener Höflichkeiten studierten wir die Speisekarten und bestellten bei der Kellnerin. Dann wandte sich Lucy mir zu: »Sie sind also der Jugendfreund von Pete. Er hat mir nicht viel über Sie erzählt, nur dass Sie sich die letzten Jahre in Südamerika herumgetrieben haben. Was haben Sie denn da gemacht? Oder gleich vorweg, können wir uns duzen?«
    »Sehr gern.« Ich stieß mit Lucy an. »Ich habe die restlichen drei Bäume Regenwald gerettet, den letzten Eingeborenen ihre kulturelle Identität wiedergegeben und eine neue Art von Kautschuk entdeckt, mit dem man den Alterungsprozess der Eintagsfliege verlangsamen kann. Also nichts Besonderes.«
    Lucy lachte wieder. Sie verstummte erst, als die Kellnerin an unseren Tisch trat, um die Vorspeisenteller zu bringen. Mir fiel auf, dass Lucy plötzlich blass wurde. Auch ich fand, dass die Bedienung entsetzlich nach vergorenem Schweiß roch.
    »Nein, im Ernst«, fuhr ich fort. »Nach dem Studium wollte ich ein bisschen reisen. Ich verdiente mir hie und da etwas Geld bei diversen Ernten, arbeitete ein halbes Jahr lang als Lehrer im Hochland, jobbte in den Bars der Großstädte …«
    »Du hast sicher jede Menge interessanter Menschen kennengelernt, aufregende Abenteuer erlebt …« Lucy schien wirklich sehr begierig darauf, meine Geschichten zu hören. Ich begann zu erzählen. Von der feuchten Hitze des Dschungels, den Moskitos, Tapiren und Alligatoren, von Indios und Mestizen, Drogenbossen, den Ghettos der Metropolen und den Sonnenuntergängen am Meer. Während des Essens redete ich mich richtig ins Feuer, schilderte alles in den glühendsten

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