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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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bestraft. Hören Sie auf zu flennen! Es ist besser, Sie wissen Bescheid. Oder wollen Sie, dass ich Ihnen etwas vormache wie der nette Herr Professor?«
    Ich dachte nur: Reiß dich zusammen, hör auf zu heulen, gib dir keine Blöße vor diesem Schwein. Denn ich spürte, dass Walcott hinter seiner militärisch unbewegten Maske Vergnügen empfand. Es gefiel ihm, dass ich weinte. Ich begriff, dass Walcott mir diesen Brief aus purem Sadismus zeigte und nicht aus angeborener Wahrheitsliebe. Plötzlich wurde ich ganz ruhig. Ich verschloss mich und erkaltete. Alles, was passiert war, der Todesfall, die Verhandlung, die Demütigung, die Verurteilung – das hatte mich aufgerissen. Zahllose kleine Wunden und klaffende Risse. Das Fleisch lag bloß, mein Inneres offen. Doch jetzt, in diesem Moment, ich wusste nicht, wie es geschah: Ich fühlte, wie ich mich schloss. In einem stillen Vorgang verschmorten meine Wunden zu Narben. Verteidigungswälle. Ich war nicht mehr verletzlich. Keiner konnte mehr in mein Inneres sehen. Kälte legte sich auf meine Haut, und das Brennen meiner seelischen Wunden verschwand. Ich stand auf und sagte zu Walcott: »Ich möchte jetzt gehen.«
    Er sah mich neugierig an, begriff nicht, woher ich Mimose plötzlich meine Selbstbeherrschung nahm. Das verursachte ihm schlechte Laune, die er mit Sarkasmus und einem dreckigen Grinsen tarnte. »Schade. Ich hätte mich gerne noch ein wenig mit Ihnen unterhalten. Vielleicht ein anderes Mal. Es ist amüsant, mit Ihnen zu plaudern.«
    »Mit Ihnen auch«, entgegnete ich und ging hinaus. Walcott trommelte hinter mir mit den Fingern auf die Tischplatte.
    Heute war Walcott wie so oft nicht da. Er war nach Washington gefahren und würde erst morgen oder übermorgen zurückkehren. Der Moment war günstig. Wenn Isabel Wort hielt, könnte es klappen. Ich ging in das Zimmer meiner wortkargen Lagergenossin, die inzwischen fast so etwas wie eine Freundin war, und schaute sie an.
    »Jetzt?«, fragte Isabel von ihrem Bett aus.
    Ich nickte.
    Wir schlenderten betont beiläufig Richtung Zentrale, wo der Nachfolger Gustafssons, ein einigermaßen cooler Typ namens Stan, seinen Dienst tat. Ich blieb hinter der Schwingtür stehen, während Isabel den Raum betrat. Von draußen hörte ich, wie Isabel ein Gespräch mit Stan begann und ihn um einen oder zwei Schreibstifte bat. Stan kramte offensichtlich gerade in seinen Vorräten, als ich von draußen einen dumpfen Schlag und dann ein seltsames Durcheinander von Geräuschen hörte. Stan fluchte lauthals. Ich öffnete die Tür. Es schien zu klappen. Isabel lag auf dem Boden, trat, schlug und wand sich in einem beeindruckenden epileptischen Anfall. Glücklicherweise hatte Stan sich über sie gebeugt, um sie festzuhalten, statt sofort nach der Krankenstation zu läuten. Ein Fehler, für den ich ihn am liebsten geküsst hätte. Isabel schlug wild um sich, zuckte, spuckte und tobte, als einer ihrer Schläge den armen Stan so auf den Kehlkopf traf, dass er bewusstlos zu Boden ging. Sofort sprang Isabel auf, frisch wie der Frühling, und zwinkerte mir zu. »Supertechnik, was? Du hast höchstens eine Minute.«
    Ich raste zum Terminal, loggte mich ein, gab eilig die E-Mail-Adresse eines gewissen Karpow in Boston ein und hinterließ ihm folgende Nachricht: Das Manöver lief ohne Bauernopfer ab. Gasparow wird siegen. Seine Dame steht, die Maus piepst .
    Als der Computer bestätigte, dass die Nachricht verschickt war, gab ich einige zusätzliche Befehle ein und klickte zurück zu Stans Hauptmenü. Ich nickte Isabel kurz zu, schlug ihr anerkennend auf die Schulter und ging wieder hinaus vor die Tür, Schmiere stehen. Das Ganze hatte knapp eine Minute gedauert. Ich hörte, wie Isabel Stan schüttelte, bis er wieder zu sich kam.
    »Na, geht’s wieder? Tut mir leid. Ich habe schon ewig keinen epileptischen Anfall mehr gehabt. Es war nicht schlimm, hat nur kurz gedauert. Aber ich scheine Sie irgendwie ausgeknockt zu haben, oder was ist passiert?«
    Stan rieb sich den schmerzenden Hals. »Ich weiß nicht so genau«, krächzte er verstimmt.
    »Jetzt sind Sie ja wieder da. War nett, dass Sie mir helfen wollten. Aber wäre es Ihnen recht, wenn wir darüber kein Wort verlieren? Ich habe keinen Bock auf einen Tag Krankenstation und die ganzen dämlichen Untersuchungen. Bringt ja eh nichts.«
    »Sind Sie sich sicher?«, fragte Stan. Man konnte fast hören, wie sein Hirn ratterte. Er wollte keinen weiteren Fehler machen. Nie im Leben würde er wieder versuchen,

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