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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Sensor Stufe 10
    »Heiligabend. Süßer die Glocken nie klingen«, säuselte Katya, als sie ins Wohnzimmer trat, um mir ihre eigens für das Fest der Liebe neu erworbene Reizwäsche vorzuführen. »Wie findest du meine Glocken?«
    Katya hatte an ihrem schwarzen Spitzenbüstenhalter in Höhe der Nippel zwei kleine silberne Glöckchen befestigt, die sie nun durch heftiges Wippen zum Bimmeln brachte.
    Ich musste lachen. »Hat dein Nicolas Sinn für solche Albernheiten?«
    »Für jede Spielart«, erwiderte Katya und ließ noch einmal bimmeln. »Ich muss sie nur erst einmal wieder abnehmen, die Glöckchen drücken sich durch den Pulli durch, und das sieht bescheuert aus. Kommt Pete dich abholen?«
    Ich nickte. Es war gegen sieben Uhr abends. Katya war vor einer Stunde von ihrem Rundgang durchs Weiße Haus zurückgekommen, ich hatte das Pentagon unter die Lupe genommen. Normalerweise legten die Militärs keinen Wert auf die Fähigkeiten der Ratten. Sie waren viel zu blasiert, um sich unter unseren Schutz zu begeben. Doch über Weihnachten war das Wachpersonal reduziert, und deswegen hatte das Pentagon ausnahmsweise um einen Kontrollgang gebeten. Ich war von Frank hingebracht und begleitet worden, ein wie immer angenehmer Umstand, der mir die dröge Konversation mit dem diensthabenden Wachoffizier ersparte. Stattdessen erfuhr ich jede Menge über die chemischen Unterschiede in den kristallinen Formen von Schnee und Zucker, ein Wissen, dessen praktische Anwendung, wie ich Frank lachend versicherte, mein tägliches Leben sicher um einiges erleichtern würde.
    Nun freute ich mich auf einen Abend mit Pete. Wir würden die heutige Nacht in seiner Wohnung verbringen, was selten vorkam, da ich mich in Petes Apartment, dessen karge Einrichtung aus grauschwarzen Leder-Metall-Ensembles à la Corbusier bestand, nicht sehr wohlfühlte. Für heute jedoch hatte er mir eine Festillumination aus Kerzenschein versprochen und eine behagliche Kuscheldecke vor dem Kamin – begrüßenswerte Maßnahmen, die versprachen, seine stilistisch unterkühlte Wohnung in ein wohltemperiertes Liebesnest zu verwandeln. Außerdem sollte ich überprüfen, ob Petes Apartment überwacht wurde. Dieses Argument für die Wahl des heiligabendlichen Treffpunktes – und ich fürchtete insgeheim, es könnte für Pete das ausschlaggebende gewesen sein – war zwar wenig romantisch, doch ich ließ es unkommentiert.
    Es klingelte. Ich griff nach meinem Mantel und dem kleinen Päckchen, das auf dem Tisch lag, gab Katya einen Kuss und wünschte ihr und Nicolas einen schönen Abend.
    Die Fahrt durch die Stadt dauerte fast eine ganze Stunde. Es war nicht viel los, die meisten Menschen waren zu Hause mit dem Auspacken von Socken, Krawatten und Ballerspielen oder dem Tranchieren einer Forelle oder eines Truthahns beschäftigt. Aber die Straßen waren von einer dünnen Eisschicht überzogen und erschwerten das Vorwärtskommen. Wie immer sprachen wir während der Autofahrt nur wenig. Wir lauschten der Bluesmusik aus dem Radio. Ich hatte meine Hand auf Petes rechtem Oberschenkel liegen, schaute zum Fenster hinaus und genoss die Bewegungen von Petes Beinmuskulatur, die sich an- und entspannte, wenn er vom Gaspedal zur Bremse wechselte. Bei seiner Wohnung angekommen, musste ich im Flur stehen bleiben. Nach wenigen Minuten bat er mich herein. Schon beim ersten Rundblick wurde mir klar, wie viel Mühe und Zeit Pete verwandt hatte, um mir ein ansprechendes Ambiente zu bieten. Überall standen brennende Kerzen, Sofa und Sessel verschwanden unter Kaschmirdecken und Brokatkissen, das Fenster war durch einen schweren, changierenden Stoff verhängt, der halb in den Raum hineinfloss, und auf dem Tisch war ein italienisches Büfett angerichtet. Ich drehte mich gerührt zu ihm, nahm ihn in die Arme und küsste ihn. Er streifte mir den Mantel von den Schultern, ließ ihn zu Boden sinken, hob mich hoch und trug mich in die Mitte des Zimmers, wo er mich sanft auf Decken und Kissen bettete.
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich dehnte und streckte mich, schaute den noch schlafenden Pete an und strich ihm zärtlich durchs Haar. Leise krabbelte ich aus dem Bett, schloss die Schlafzimmertür vorsichtig hinter mir. Das Wohnzimmer musste dringend gelüftet werden. Ich öffnete das Fenster und sah mich um. Ein zerfetzter Slip auf der Tischkante neben den eingelegten Auberginen. Blutrote Weinflecken auf den Kissen. Glasscherben vor dem Kamin. Ein Messer am Boden,

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