Animus
er die Wohnungstür hinter mir geschlossen, fiel mein Lächeln von mir ab. Ich fragte mich, ob Pete mir von der ›Endlösung‹ erzählen würde.
30. Die Akte
Pete, 36, Geheimagent
Nachdem Lucy weg war, machte ich mich an die anstehenden Aufräumungsarbeiten. Ich war sehr zufrieden mit der Nacht. Lucy hatte weder eine Observierung vor meinem Haus ausmachen können noch sonst etwas Auffälliges. Das einzig Ungewöhnliche war die Heftigkeit unseres Liebeslebens. Das Aufräumen ging schneller als erwartet. Ein paar gezielte Handgriffe, eine große Mülltüte, etwas Hin und Her mit dem Staubsauger, und schon war klar Schiff. Die Kissen legte ich ungeordnet in eine Ecke, die Decken kamen in den Wäschekorb, Lucys Slip trug ich als Trophäe ins Schlafzimmer und hängte ihn dort über das Kopfende des Bettes. Dann schmierte ich mir zwei Honigbrötchen, legte sie auf einen Teller, schenkte mir eine weitere Tasse Kaffee ein und trug das Gedeck samt Zigaretten, Streichholz und Aschenbecher auf einem Tablett ins Arbeitszimmer. Ich setzte mich an den Schreibtisch, zog die obere Schublade auf und nahm eine Akte hervor. Sollte ich sie wirklich lesen? Seit Tagen lag sie nun hier. Ungeöffnet. Ich liebte Lucy, das war mir inzwischen klar, und ich wollte nicht, dass irgendjemand mehr über sie wusste als ich. Snyder. Oder gar irgendeiner meiner bescheuerten Kollegen vielleicht. Erst kürzlich hatte mich einer auf dem Flur gefragt, ob ich keinen Schiss vor meiner Nutte hätte. Ich hatte keine Ahnung, wovon dieser Idiot redete, aber nach Snyders Bemerkung kürzlich vermutete ich, dass Lucy gemeint gewesen war. In Zukunft wollte ich auf solche Scherze gefasst sein. Ich nahm einen Schluck Kaffee, biss beherzt in das Brötchen und sah die Papiere durch. Ihr psychologisches Profil kannte ich. Diese Unterlagen waren stets bei den Akten, die mir zugänglich gemacht wurden, wenn ich neue Rekruten selektierte. Was ich bisher nicht gesehen hatte, war das Protokoll der Verhandlung. Genau darüber wollte ich Aufschluss erhalten. Mord an einem Liebhaber, das wusste ich. Aber was war damals genau passiert? Ich kämpfte mich durch die Anklageschrift und durch die Beweisaufnahme, wühlte mich durch Zeugenaussagen und Gutachten. Eine halbe Packung Zigaretten später langte ich bei der Aussage der Angeklagten an. Lucy hatte sich gegen den Rat ihres Anwalts für schuldig erklärt und ihm auch während der Verhandlung seine Arbeit keineswegs erleichtert. Im Gegenteil, es schien, als hätte sie um die Höchststrafe geradezu gebettelt. Zudem lagen Fotos von der Verhandlung bei. Ich konnte unschwer erkennen, dass Lucy es nicht darauf angelegt hatte, die Geschworenen für sich einzunehmen. Sie war auf aufreizende Weise elitär gekleidet, ihr Gesichtsausdruck, ihre ganze Körperhaltung ließen Hochmut und Trotz erkennen. Provokation und Arroganz statt Demut und Schuldbewusstsein. Ich schüttelte missbilligend den Kopf und begann zu lesen.
»Wissen Sie, Herr Vorsitzender, mein Gatte, oder sollte ich zukünftiger Exgatte sagen, ist ein berühmter Pianist, möglicherweise haben Sie von ihm gehört oder gar Aufnahmen zu Hause. Ein begnadeter Mann, genial, gebildet, charmant und sehr gut aussehend. Die Welt liegt ihm zu Füßen, und ich sollte mich dazulegen, die Frau im Hintergrund spielen: repräsentabel, witzig, klug, attraktiv und vor allem voller Rücksicht auf sein ach so egozentrisches Künstlerwesen. Aber ich sage Ihnen offen, als Staffage bin ich vergeudet. Diese simple Tatsache führte schon zu Beginn unserer Ehe zu Revierverhalten und Kommentkämpfen. Ich wollte mich nicht seinen Interessen unterordnen, er wollte keine Energie darauf verschwenden, mich zu zähmen. Eine Zeit lang ging es einigermaßen gut. Ich war mit ihm verheiratet, aber ich sah ihn kaum: Proben, Konzerte, gesellschaftliche Verpflichtungen … Am Anfang begleitete ich ihn auf seinen Tourneen. Aber schließlich sahen wir ein, dass dadurch unsere eh schon gespannte Beziehung noch mehr belastet wurde. Vor Konzerten war er unerträglich feinnervig, um es milde auszudrücken. Man könnte auch tyrannisch sagen. Und ich bin eben kein Typ, der sich gerne unsichtbar macht. Aber zur Sache: Damals, in der ersten Nacht, war Oreste wieder auf Tournee – seit zwei Wochen schon oder noch länger, ich erinnere mich nicht mehr so genau. Ich versuchte wie immer, mich in meiner Einsamkeit so gut wie möglich einzurichten, verbrachte meine Abende mit den wenigen Freunden, die mir in diesen
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