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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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vergeblich. Sie waren einigermaßen gradlinig ihrer Wege gegangen. Dunkle Punkte auf den offiziell weißen Westen ließen sich genügend aufspüren, doch das wirklich dicke Ding, die Verbindung, fehlte. Keine gemeinsame Jugend, Schulzeit, Militärzeit, keine noch so entfernte Verwandtschaft. Die beiden hatten sich erst zwei Jahre bevor der Präsident sein Amt übernahm kennengelernt. Und die letzten beiden Jahre hatte Walcott in inoffizieller Mission fast komplett in Israel verbracht.
    Ich schlenderte gedankenverloren durch das leichte Schneetreiben in den menschenleeren Straßen. Vielleicht hatten wir uns geirrt, und es gab gar nichts zu finden. Entnervt trat ich gegen eine zusammengeknüllte Coladose. Sie flog mindestens fünf Meter weit, polterte über den Asphalt und prallte mit lautem Scheppern gegen ein Gebäude. Fast erstaunt über den Lärm, den ich verursacht hatte und der mir das Fehlen des üblichen großstädtischen Geräuschpegels erst ins Bewusstsein brachte, blickte ich auf und sah mich um. Ich war gelaufen, ohne auf den Weg zu achten, den Blick auf den Boden geheftet, und in einer Geschäftsstraße gelandet, die wie ausgestorben wirkte. Büros und Läden waren geschlossen, Wohnungen gab es hier nur wenige. Kein blaues Flimmern drang durch die Glasscheiben, kein Licht erhellte die Häuserfronten, keine Gesprächsfetzen waren zu hören. Nur am anderen Ende der Straße glimmte ein grünes verheißungsvolles Licht. Ich kannte mich nicht gut in der Gegend aus. Eine Bar war mir hier noch nie aufgefallen. Ich beschleunigte meinen Schritt. Als ich mich der Leuchtreklame näherte, spürte ich plötzlich, wie groß mein Durst war. Ich konnte mir jetzt nichts Schöneres vorstellen, als den Frust und die vergebliche Mühe der letzten Tage mit ein, zwei, vielleicht auch drei Gläsern runterzuspülen.
    Ich ging drei Stufen die Treppe zum Souterrain hinunter. Die amerikanische Angewohnheit, Kneipen häufig in Kellerlöcher zu bauen, stammte sicher noch aus der lichtscheuen Prohibitionszeit. Ich öffnete eine schwere, quietschende Holztür. Drinnen empfing mich gänzlich unerwartet ein hell erleuchtetes, sauberes Etablissement, das mit einer langen, voll verspiegelten Theke glänzte. Gäste gab es nur einige wenige. Mir war’s recht, ich suchte keine Gesellschaft. Ich setzte mich ans obere Ende des Tresens, von dem aus ich die komplette Bar im Auge hatte. An einem der Tische knutschte ein Pärchen. Zwei Tische weiter saß ein älterer Mann, konservativ und gepflegt gekleidet, aber mit glasigem Blick. Einer von den Typen, die mit einem gebügelten Brusttuch in der oberen Anzugtasche darüber hinwegtäuschen wollen, dass sie heruntergekommene Alkoholiker sind. Hinter einer Trennwand, weitere zwei Tische von dem besoffenen Grandseigneur entfernt, lugte ein recht passables Paar übereinandergeschlagener Frauenbeine hervor. Ich konnte nicht erkennen, ob die Dame in den blutroten Pumps alleine war, aber das permanente Wippen ihres Unterschenkels verriet mir eine gewisse Unruhe. Ich wandte mich zu dem Barmann, der träge zu mir geschlendert kam und mich ohne Begrüßung fragend anschaute.
    »Dimple«, beantwortete ich den Blick.
    Der Barmann nickte, wischte mit einem Handtuch vor mir über die Theke und schlurfte zurück, um das Gewünschte aus der Flaschenbatterie herauszufischen. Nachdem er den Whisky vor mir abgestellt hatte, polierte er am anderen Ende des Tresens gelangweilt Gläser, was er nur hin und wieder unterbrach, um eine vor ihm liegende Zeitschrift umzublättern. Kaum hatte ich den zweiten Dimple vor mir stehen, ließ mich das Klackern von Pumps aufschauen.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Die wippenden Beine standen neben mir, trugen einen ebenso ansehnlichen Torso mit einem überschminkten Gesicht darauf. Die Frau kam mir bekannt vor, aber ich wusste nicht, woher.
    »Wenn es sein muss«, knurrte ich unfreundlich.
    Die Frau ließ sich nicht abschrecken und rutschte umständlich auf den Barhocker neben mir. »Geben Sie mir einen aus?«, setzte sie ihre penetrante Anmache fort.
    »Wenn es sein muss.«
    Die Frau gab dem Barmann einen kurzen Wink. Der nickte und drehte sich zum Flaschenregal. Ich schloss aus der nonverbalen Kommunikation, dass die Frau entweder hier Stammgast war oder heute Abend schon mehrfach den gleichen Drink bestellt hatte. Sie wirkte nicht mehr ganz nüchtern. Der Redeschwall, der nach dem zügigen Hinunterkippen ihres Gins auf mich niederging, sprach jedenfalls für einen erhöhten

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