Animus
zum Service und dank Professor Schmelzer kennen wir die wahren Hintergründe. Zumindest im Groben. Sicherheitsrisiko, nicht wahr? Was ist passiert?«
Erykah zuckte mit den Schultern. »Ich hielt sie zuerst für durchgeknallt. Kurz bevor Sybil aus dem Verkehr gezogen wurde, hat sie sich eines Nachts bei mir gemeldet. Und die Nacht darauf wieder. Eine Woche später war sie tot. Ich habe es aus der Zeitung erfahren. So eine verfickte Scheiße!«
Erykah nahm einen großen Schluck Rotwein. Sie atmete tief durch und erzählte weiter: »In den beiden Nächten, in denen sie mich anrief, redete sie vollkommen chaotisches Zeug. Von Leichen überall, aufgespießten Köpfen, Konzentrationslagern, Folterungen, apokalyptischen Reitern, die übers Land ziehen und alles verwüsten. Ich dachte echt, sie spinnt. Habe versucht, sie zu beruhigen, und gemeint, ich käme sie bald besuchen. Sie hat mich aber nur angeschrien, ob ich es denn nicht spüren würde? Ob ich denn völlig bescheuert sei? Als ich in der ersten Nacht den Hörer auflegte, dachte ich, ihre jüdische Herkunft holte sie jetzt ein. Ihre Großmutter hat ihr früher immer Horrorstorys vom Holocaust erzählt.«
Erykah schüttelte sich und leerte ihr Glas. Ich goss stumm nach.
»Eine Woche später war sie tot. Ich konnte niemanden nach ihr fragen. Sie lebte total zurückgezogen, keine Freunde, keinen Geliebten, Verwandte ja sowieso nicht. Bei meinem nächsten Job für einen Kongressabgeordneten habe ich dann Sam ein wenig ausgequetscht. Kennt ihr ihn? Sam Rodkin, Leiter der Bomb Squad.«
Katya und ich nickten.
»Er drückte sich sehr vorsichtig aus. Meinte, Sybil hätte in letzter Zeit einige Ausfälle gehabt, und kurz vor ihrem Selbstmord – er hat tatsächlich versucht, mir die Version vom Selbstmord aufzutischen –, da hätte sie einen Megajob mit dem Präsidenten versaut. Sybil wäre völlig ausgerastet und unserem Oberboss an den Kragen gegangen. Schätze, das war ihr Todesurteil.« Erykah stierte in ihren Burgunder.
Ich holte sie aus ihrer Wut und Trauer heraus. Wir mussten vorankommen. »Du hast gesagt, zuerst hieltest du sie für durchgeknallt. Hat sich deine Meinung geändert?«
Erykah sah uns müde an. »Also gut, legen wir die Karten auf den Tisch. In der zweiten Nacht, in der Sybil mich anrief, schwitzte ich meinen ersten zu ihren Visionen passenden Albtraum aus. Ähnliche Bilder. Ich war richtig sauer auf Sybil, weil sie mir eine solche Scheiße in den Kopf gesetzt hatte. Als ich die Nachricht von ihrem Tod bekam, fing ich an zu grübeln. Sybil war nicht der Typ, der einfach so ausrastet. Die war ein totaler Kontrollfreak. Und meine Albträume ließen nicht nach. Sie wurden heftiger. Seit einiger Zeit drängen sich unschöne und völlig unrealistische Schreckensvisionen auch in mein Wachbewusstsein. Und jetzt frage ich mich, ob irgendein Mist abläuft. Oder ob Sybil Anzeichen von diesen Störungen hatte, an denen die anderen vor vier Jahren alle abgekratzt sind. Und bei mir geht es auch los. Wenn ich mir so anschaue, wie ihr hier vor mir sitzt und mich anglotzt, dann beschleicht mich das Gefühl, dass ihr euch ähnliche Fragen stellt. Könnt ihr mir jetzt verflucht noch mal sagen, was abgeht?«
»Zuerst wollen wir dich mal über diese sogenannten Störungen aufklären, die angeblich zum kollektiven Exitus unserer Kolleginnen vor vier Jahren geführt haben«, begann Katya. Sie erzählte Erykah alles, was wir selbst erst kürzlich durch den Professor erfahren hatten. Erykah wollte uns zuerst kein Wort glauben. Aber das war nur der Reflex auf Wahrheiten, vor denen man lieber die Augen verschließt. Ich schilderte ihr daraufhin meine und Katyas Imaginationen des Grauens, von denen wir seit einiger Zeit verfolgt wurden. Einige Bilder stimmten bis ins Detail überein, auch mit den Schilderungen von Sybil.
»Es können keine Hirngespinste oder Nervenüberreizungen oder Vorboten des Synapsenkollapses sein«, fügte Katya hinzu. »Wir haben eine Art kollektiven Alarm! Sonst würden unsere Schreckensvisionen nicht alle exakt in die gleiche Richtung deuten. Außerdem haben Lucy und ich uns vom Professor gründlich untersuchen lassen. Er meint, es sei absolut nichts Beunruhigendes in unserem Hormonstatus festzustellen. Und wir wissen, dass wir ihm trauen können.«
»Also«, fasste Erykah zusammen, »was hat das alles zu bedeuten? Ich nehme an, ihr habt eine Theorie.«
»Wir sind zu einem ähnlichen Resultat gekommen wie Sybil«, meinte Lucy.
»Die Ursache
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