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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Alkoholpegel und eine tiefe Hemmschwelle.
    »Ich heiße Ritha. Ich möchte Sie nicht belästigen aber ich war so einsam da hinten an meinem Tisch und ich dachte mir vielleicht geht es Ihnen ebenso es ist ja meist nicht so dass man an solchen Feiertagen gerne alleine in einer Kneipe sitzt wer das behauptet der lügt sich doch selbst in die Tasche also dachte ich vielleicht freut sich der Typ wenn er etwas Gesellschaft hat nicht dass ich denke ich wäre irrsinnig anregend als Gesellschaft aber besser als gar nix oder was meinen Sie?«
    Sie redete ohne Punkt und Komma. Ich versuchte, vor ihrem Sperrfeuer in Deckung zu gehen: »Hören Sie, Ritha. Ich bin heute nicht sehr gesprächig …«
    »Am besten Sie trinken noch Whisky Ben noch mal das Gleiche für meinen neuen Kumpel hier und für mich auch …«
    Ich sah ein, dass ich nur eine Chance hatte: aufstehen und gehen. Da ich aber tatsächlich das Bedürfnis verspürte, mir ein sattes Standgas zu verpassen, und diese Bar dazu genauso gut oder schlecht geeignet war wie jede andere in der näheren Umgebung, fügte ich mich in mein Schicksal. Vielleicht wären in der nächsten Kneipe ja fünf von diesen einsamen Herzen oder ein abenteuerlustiger Trupp minderjähriger Pfadfinderinnen oder gar eine singende Abteilung der Heilsarmee. Also prostete ich Ritha resigniert zu und konzentrierte mich auf das sanfte Brennen der Flüssigkeit in meiner Kehle.
    »Normalerweise treibe ich mich ja nicht nachts alleine in Bars herum das müssen Sie mir glauben aber an Weihnachten hatte ich einen entsetzlichen Streit mit meinem Freund er ist ein Schwein er hat mich geschlagen nicht dass mir das was ausmacht er schlägt mich schon seit Jahren aber das ist nicht das Schlimmste sondern die Demütigungen. Einmal muss doch Schluss sein ich will da raus mein ganzes Leben halte ich das schon aus aber was erzähle ich Ihnen das Sie haben sicher Ihre eigenen Probleme lassen Sie uns noch einen trinken so dünn kommen wir schließlich nie wieder zusammen. Ben, noch ’ne Runde!«
    Beim letzten Satz versuchte sie ein Lächeln, das kläglich schiefging. Mir schwante Schlimmes. Ich wettete insgeheim, dass es höchstens noch zwei Drinks dauern würde, bis die Frau in Tränen ausbrach.
    »Ach, all das Elend …«, seufzte ich mit einem zynischen Grinsen. Der Sarkasmus schien meiner Trinkgenossin zu entgehen.
    »Ja, mein Gott, ich könnte Ihnen Geschichten erzählen …«, seufzte sie zurück und setzte ihr Glas an die Lippen.
    »Dann tun Sie’s doch«, munterte ich sie auf. Zuerst dachte ich, ich hätte mich selbst gerade nicht richtig gehört, dann aber fand ich, dass es eine gute Taktik wäre. Wenn sie unaufhörlich quatschte, konnte ich meine Wortbeiträge auf bewegte Zwischenrufe ohne die geringste geistige Beteiligung beschränken. Als Erstes floss die niederschmetternde Beschreibung ihrer Beziehung zu Johnny an mir vorbei. Meine Abschottung war gut, jedoch nicht perfekt. Gewisse Schlüsselwörter wie »Tritt«, »Flasche«, »nackt«, »pervers« und »Messer« drangen bis hinter meine Deckung und schwammen wie ein Ölteppich auf der Oberfläche meines Whiskys, in den ich gelangweilt hineinstierte. Wenn sie so weitermachte, würde sie mir noch die Lust am Trinken vergällen.
    »… und schauen Sie mal hier, die sind nicht von Johnny.« Sie schubste mich an, damit ich den Blick von meinem Glas hob und ihre Arme betrachtete, die sie durch Heraufrollen der Pulloverärmel freigelegt hatte. Ich tat ihr den Gefallen. Die Arme waren von oben bis unten von kleinen, alten Narben übersät, als hätte sich ein Grobmotoriker in Lochstickerei versucht.
    »Die sind nicht von Johnny die sind von meinem Vater der hat auch gesoffen und dann war er kein Mensch mehr sondern ein Tier und hat immer meine Mutter geprügelt fast umgebracht hat er sie ich war noch klein damals aber nicht zu klein und eines Nachts als er wieder besoffen war hat er meine Mutter windelweich geschlagen und dann das Bügeleisen eingesteckt und sie mit dem heißen Eisen überall verbrannt und ich habe geschrien und wollte meiner Mami helfen und bin dazwischen und da hat er einen Teller kaputt geschlagen und mir die Arme zerschnitten kannst du dir das vorstellen wie heißt du überhaupt?«
    Ich spürte eine leichte Übelkeit aufsteigen. Plötzlich wusste ich, wo ich die Frau schon einmal gesehen hatte. Die Kellnerin aus dem Pavillon, derentwegen Lucy das Lokal verlassen hatte. Prügel! Scheint eine Art Erbsünde zu sein, dachte ich bitter.
    »Und

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