Animus
und den Barmann um ein Mineralwasser bat. Ich hoffte inbrünstig, dass die Kellnerin heute nicht aufschlagen würde und ich die nächste Stunde in nüchterner Abgeschiedenheit verbringen durfte.
Nach etwas über einer Stunde erhob ich mich und ging zu den beiden zurück. Ev gab gerade ein Handy an Marc zurück. Verdammt, sie hatte telefoniert! Ich blickte Marc wütend an. Der versuchte mich zu beruhigen: »Ihre Mutter. Prepaid-Handy, heute gekauft. Ich werfe es gleich weg. Es waren keine drei Minuten, ich habe gestoppt, okay?« Ich nickte erleichtert. Offensichtlich hatte Marc noch die Vorsichtsmaßnahmen eines Terroristen im Blut. Evelyn sah glücklich aus. Wie lange es wohl her sein mochte, dass sie die Stimme ihrer Mutter gehört hatte? Ich brachte es kaum fertig, die beiden zu trennen. Aber es war höchste Zeit, wollten wir nicht auffliegen. Marc und Ev verabschiedeten sich ebenso innig, wie sie sich begrüßt hatten. Ich verließ die Bar mit einer extrem widerwilligen Ev im Schlepptau. Als ich draußen ein Taxi heranrief, überkam mich das dumpfe Gefühl, dass wir beobachtet wurden.
36. Neuigkeiten
Josh Boyle, 22, Terrorist
Vernehmungsprotokoll PS-OK 343/M1 : Conrad hatte mich mal wieder den ganzen Tag herumgescheucht, damit ich ihm Kippen, Getränke und sonst was besorgte. Er behandelte mich immer wie einen Laufburschen. Deswegen war ich an diesem Abend auch anwesend. Conrad hing auf einem widerlich-altrosa Sofa und rauchte eine Kippe – was natürlich verboten war, worum er sich aber einen Dreck scherte. Seit er aus dieser verlausten Bude in New York, die er vor einiger Zeit Marc als angebliches neues Hauptquartier der Stadtguerilla vorgestellt hatte, ausgezogen war, fühlte er sich anscheinend wie ein Obermacker vom Establishment. Er sah auch fast so aus. Selbst im Ambiente dieses bekackt vornehmen Washingtoner Hotels wirkte er nicht deplatziert. Die Tarnung des heruntergekommenen Arbeitslosen im ölverschmierten Overall hatte er gegen das Outfit des erfolgreichen Geschäftsmannes mit Laptop im Metallköfferchen eingetauscht. Stand ihm gut. Er sah zwar uncool, aber verdammt erfolgreich aus. Das war er auch. Durch den jüngsten Zusammenschluss mehrerer terroristischer Splittergruppen unter seinem Kommando waren Größe und Durchschlagskraft seiner Organisation mehr als versechsfacht worden. Auch die finanzielle Rückendeckung reichte endlich an die Größenordnung seiner Pläne heran. Das untrügliche Gefühl, kurz vor dem entscheidenden Wendepunkt in seiner Karriere eine Handbreit von der Emanation seiner Macht entfernt zu sein, bereitete ihm offenbar eine Art körperlicher Lust. Ich hatte den Eindruck, es machte ihn geil. Er wollte es allen zeigen. Den beschissenen Zombies von Durchschnittsbürgern, deren höchstes Glück darin bestand, Chips fressend vor der Glotze zu verfaulen. Den arroganten Wichsern von der Regierung, die annahmen, sie wären die einzigen Egoisten mit ausreichend Intellekt und Skrupellosigkeit, um die Lemminge über die Klippe hüpfen zu lassen. Und Marc wollte er es zeigen, diesem moralisierenden Weichei, der ihn enttäuscht und verraten hatte. Ihm am allermeisten. Einmal hatte er zu mir gesagt, wenn er erst an der Macht wäre, würde er ihn zu sich kommen lassen. Sich mit ihm versöhnen, ihn in die Arme schließen, ihm den Bruderkuss geben und ihm dann die Hände abhacken und die Beine brechen lassen. In unerträglicher Erwartung dieses großen Moments saß er auf dem Sofa, scharrte ungeduldig mit den Beinen und hinterließ auf dem rosa Polster schwarze, schmutzige Streifen mit seinen Stiefeln. Reflexartig zog er sie aus und grinste. Er gestand uns halb amüsiert, halb ärgerlich, wie tief doch alte, durch Zuckerbrot und Peitsche eingebrannte Erziehungsmuster im Unterbewusstsein wurzelten. Er, verantwortlich für den gewaltsamen Tod Hunderter Menschen, fühlte sich beim beschuhten Herumlümmeln auf einer billigen Chippendale-Fälschung von den strafenden Blicken seines längst verstorbenen Vaters ertappt. Wie lächerlich.
»So ist es bequemer. Ich hoffe, du erträgst den Gestank meiner Socken, Alter«, sagte er zu seinem Gegenüber.
»Kein Problem«, erwiderte der Besucher grinsend. »Aber zur Sache: Die Wohnung ist angemietet. Du kannst, wenn du willst, morgen in deine neue Luxushütte einziehen. War kein Problem. Als die Oma hörte, dass ihr neuer Mieter für die Regierung arbeitet, war sie begeistert.«
»Gut«, sagte Conrad knapp.
Eine schnelle und erfolgreiche Erledigung
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