Animus
für die drohende Katastrophe ist der Präsident«, fügte Katya hinzu. Erykah schnaubte verächtlich. »Haltet ihr das nicht für ein wenig zu verwegen? Okay, wir wissen alle, dass der Typ nicht richtig tickt. Aber überlegt mal, welche Bilder wir in den Köpfen haben! So beschissen das System hier auch sein mag, wir leben seit Jahrhunderten in einer stabilen Demokratie. Und unser Präsident ist trotz allem kein beschissener Fascho.«
»Hast du schon mal von dem Begriff ›Endlösung‹ gehört?«, fragte ich.
»Das ist doch so ’n Nazischeiß, oder? Ich war nie gut in Geschichte.«
»Vielleicht wirst du’s bald sein, denn die Geschichte droht sich zu wiederholen«, kommentierte Katya bitter.
Ich erzählte Erykah von dem Inhalt des Dokuments, auf das ich in Petes Computer gestoßen war und das ganz augenscheinlich vom Präsidenten selbst verfasst worden war.
»Aber das ist ganz unmöglich, dass er damit durchkommt. Die sägen ihn ab, wenn er damit an die Öffentlichkeit geht. Der kommt in ’ne Zwangsjacke! Was sagt denn dein Freund dazu?«, fragte Erykah fassungslos.
»Unser Präsident geht damit nicht an die Öffentlichkeit«, warf Katya ein. »In dem Papier wurde klar, dass ein Großteil der Maßnahmen als geheime Operation unter Walcotts Aufsicht durchgeführt werden soll. Dass der auf Linie ist, kannst du dir denken. Nur die etwas blutleereren Ideen sollen Mitte des Monats als Gesetzentwurf einer ausgewählten Schar von Hardliner-Senatoren und Abgeordneten vorgelegt werden. Deswegen bleibt ihr in Washington. Wir sollen diese Irren vor den Terroristen beschützen!« Katya lachte bitter auf.
»Und was Pete betrifft«, fügte ich hinzu, »ich liebe ihn. Aber seine politische Ausrichtung ist mir nicht ganz klar. Er arbeitet seit Tagen wie besessen. Als ich ihn fragte, woran, meinte er nur, er könne mir nichts sagen. Nur so viel, dass es von großer Tragweite sein könnte und eventuell ’ne Menge verändern würde. Sowenig ich mir vorstellen kann, dass er bei dieser Scheiße mithilft, so sehr sieht es danach aus. Ich weiß nicht, ob ich ihn zur Rede stellen kann. Das würde unsere Pläne gefährden.«
»Was für Pläne?«, fragte Erykah irritiert.
35. Wiedersehen
Pete, 36, Geheimagent
Ich betrat den Flur im Enterprise-Hotel, in dem Evs Zimmer lag, wechselte ein paar leise Worte mit dem Wächter, der dort auf einem Sessel saß und in einer Pornozeitschrift schmökerte, und drückte ihm etwas in die Hand. Der Typ grinste schmierig und vertiefte sich wieder in die Zeitschrift, die er demonstrativ hoch vors Gesicht erhob, sodass selbst der Blödeste verstand, dass er nun von dem, was vor sich ging, nichts mehr sehen konnte und wollte. Ich spazierte gemächlich mit durch den Teppichboden gedämpften Schritten auf das Pluto-Zimmer zu, drückte leise die Klinke herunter und streckte den Kopf hinein. Ev stand schon in Mantel und Schal hinter der Tür. Ich nahm sie bei der Hand und schlich mit ihr die Treppe hinunter zum Hinterausgang, durch den ich auch hereingekommen war. Glücklicherweise hatten Walcotts Leute es nicht für nötig befunden, auch dort einen Mann zu postieren. Die Lobby und jeder einzelne Flur waren bewacht. Das sollte genügen. Ich grinste. Captain Kirk hatte mir gegen ein geringes Entgeld den Schlüssel zur Hintertür für diese Nacht überlassen. Es sollte ein Leichtes sein, auch ungesehen wieder hineinzuschlüpfen.
In der engen, trotz der Kälte immer noch nach Müll und Pisse riechenden Gasse hinter dem Enterprise stand ein Taxi, das auf Ev und mich wartete. Ich gab dem Fahrer die Adresse der Kneipe, in der ich am Abend zuvor die versoffene Kellnerin aus dem Pavillon getroffen hatte. Die Bar schien mir abgelegen genug für ein konspiratives Treffen.
Als ich die Tür zur Bar öffnete, stellte ich überrascht fest, dass weitaus mehr Gäste anwesend waren als gestern. Doch so war es sogar besser. In der Masse bleibt man anonym. Evs Hand zitterte vor Aufregung in meiner. Ich zog sie hinter mir her, bahnte uns einen Weg durch die Menge. Niemand achtete auf uns. Alle waren mit sich selbst, dem Alkohol, dem Barmann oder den erotischen Vorzügen ihres Gegenübers beschäftigt. Ich zog Ev weit nach hinten in eine dunkle Ecke. Marc schien selbst in dem warmen orangefarbenen Barlicht bleich. Die beiden fielen sich in die Arme. Ev begann herzzerreißend zu schluchzen, und auch Marc liefen ein paar Tränen über die Wangen. Ich nickte Marc kurz zu und begab mich an den Tresen, wo ich mich hinsetzte
Weitere Kostenlose Bücher