Anita Blake 02 - Bllutroter Mond
war die ganze sorgfältig aufgebaute Symbolik verpfuscht. Ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht für mich wäre. Regel Nummer dreihundertneunundsechzig beim Umgang mit fremder Magie: Im Zweifelsfall nichts antasten.
Ich tastete nichts an.
Der Hintergrund des Raumes war hell mit Kerzen erleuchtet. Das satte warme Licht flackerte und überzog die weißen Wände mit Wärme. Dominga stand in der Mitte dieses leuchtenden Weiß und funkelte vor Verderbtheit. Ein besseres Wort gab es nicht. Sie war nicht einfach nur böse, sie war verdorben. Um sie herum glitzerte es, als sei die Dunkelheit verflüssigt und greifbar geworden. Die lächelnde alte Frau war verschwunden. Sie war eine Kreatur der Macht.
Manny stellte sich an die Seite. Er starrte sie an. Dann warf er mir einen Blick zu. In seinen Augen war eine Menge Weißes zu sehen. Unmittelbar hinter Domingas geradem Rücken war der Altar zu sehen. Er lief über von toten Tieren, deren Blut am Boden eine Lache bildete. Hühner, Hunde, ein kleines Schwein, zwei Ziegen. Auch Klumpen aus Fell und Blut, die ich nicht identifizieren konnte. Der Altar sah aus wie eine Quelle, aus der tote Tiere flossen, träge und dickflüssig.
Die Opfer waren frisch. Kein Verwesungsgeruch. Die glasigen Augen der Ziege sahen mich an. Ich verabscheute es, Ziegen zu töten. Sie wirkten immer so viel intelligenter als Hühner. Oder vielleicht fand ich sie auch nur niedlicher.
Rechts vom Altar stand eine große Frau. Ihre Haut schimmerte im Licht der Kerzen nahezu schwarz, als wäre sie aus einem schweren, glänzenden Holz geschnitzt. Die kurzen, ordentlichen Haare fielen ihr auf die Schulter. Breite Wangenknochen, volle Lippen, fachmännisches Augen-Make-up. Sie trug ein langes Seidenkleid in dem hellen Rot von frischem Blut. Es passte zu ihrem Lippenstift.
Am Altar stand auch ein Zombie. Er war einmal eine Frau gewesen. Ihr langes hellbraunes Haar reichte bis zur Taille. Jemand hatte es gebürstet, bis es glänzte. Es war das Einzige, was an dieser Leiche lebendig aussah. Die Haut war grau und bis auf die Knochen eingesunken, wie Schrumpffolie. Unter der dünnen, verwesenden Haut bewegten sich letzte sehnige Muskeln. Die Nase war fast verschwunden, was ein halbfertiges Aussehen erzeugte. Ein rotes Kleid hing lose an den verbliebenen Resten des Körpers.
Man hatte versucht, sie zu schminken. Auf Lippenstift war verzichtet worden, da die Lippen zusammengeschrumpft waren, aber ein Hauch malvenfarbener Lidschatten umrandete die hervortretenden Augen. Ich schluckte mühsam und richtete meinen Blick wieder auf die andere Frau.
Auch sie war ein Zombie. Einer der besterhaltenen und lebendigsten, den ich je gesehen hatte, aber egal, wie knackig sie aussah, sie war tot. Sie betrachtete mich ebenfalls. Da war etwas in ihren tiefbraunen Augen, was kein Zombie lange hat. Die Erinnerung an das, wer und was sie gewesen sind, verblasst innerhalb weniger Tage, manchmal weniger Stunden. Aber dieser Zombie hatte Angst. Die Angst stand wie eine lodernde Qual in ihren Augen. Zombies haben keine solchen Augen.
Ich wandte mich noch einmal dem anderen Zombie zu und stellte fest, dass er mich ebenfalls anstarrte. Da kaum noch etwas da war, was die Augen in den Höhlen hielt, war die Mimik nicht sonderlich gut, aber sie genügte. Sie genügte, um die Angst zu zeigen. Scheiße.
Dominga nickte, und Enzo schob mich weiter in den Kreis hinein. Ich wollte nicht. »Was zum Teufel geht hier vor, Dominga?« Sie schmunzelte. »An solche Grobheit bin ich nicht gewöhnt.«
»Dann gewöhnen Sie sich daran«, sagte ich. Enzo blies mir gewissermaßen in den Nacken. Ich tat mein Bestes, uni ihn nicht zu beachten. Die rechte Hand hielt ich ungezwungen in der Nähe meiner Pistole, ohne dass es so aussah, als griffe ich danach. Das war nicht einfach. Wenn man nach einer Waffe greift, sieht es gewöhnlich auch so aus. Doch niemand schien es zu bemerken. Prima für unsere Seite.
»Was haben Sie mit den beiden Zombies gemacht?« »Untersuchen Sie sie, chica. Wenn Sie so mächtig sind, wie man hört, dann können Sie sich die Frage selbst beantworten.«
»Und wenn ich es nicht herausfinde?« Sie lächelte, aber ihre Augen waren so blank und schwarz wie bei einem Hai. »Dann sind Sie nicht so mächtig, wie man sagt.« »Ist das der Test?« »Vielleicht.«
Ich seufzte. Die Voodoodame wollte sehen, wie hart ich wirklich war. Warum? Vielleicht gab es gar keinen Grund.
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