Anita Blake 04 - Giergige Schatten
der Wash U. Er war ein sehr guter Freund von Richard. Eine Werratte. Ein tiefes, finsteres Geheimnis, das gefährdet wäre, wenn ich anfinge, ihm die Gipsabgüsse von Lykanthropenpranken zu schicken. Wenn ich sie an die Abteilung adressierte, war es ziemlich sicher, dass Louis sie zu sehen bekam.
Das war an diesem Abend mein bester Beitrag. Die Suche war noch im Gange gewesen, als ich wegfuhr. Ich hatte meinen Piepser eingeschaltet. Falls sie noch einen Halbnackten im Schnee fanden, konnten sie mich anrufen. Allerdings wäre ich sauer, wenn sie sich meldeten, ehe ich ein paar Stunden geschlafen hatte.
Als ich die Wagentür zuschlug, hörte ich das Echo einer zweiten. Ich war müde, doch ganz automatisch schaute ich suchend über den kleinen Parkplatz. Vier Wagen weiter stand Irving Griswold, eingepackt in einen orangen Parka und einen gestreiften Schal um den Hals gewickelt. Sein braunes Haar bildete einen krausen Glorienschein um den kahlen Kopf. Eine kleine, runde Brille saß auf seiner Knopfnase. Er sah lustig und harmlos aus und war ebenfalls ein Werwolf. Schien heute Nacht mein Schicksal zu sein.
Irving war Reporter beim St. Louis Post Dispatch. Alle Artikel über mich und Animators, Inc. trugen seine Verfasserangabe. Er kam lächelnd auf mich zu. Nur Ihr freundlicher Reporter aus der Nachbarschaft. Ja, klar.
»Was wollen Sie, Irving?« »Begrüßt man so jemanden, der die letzten drei Stunden im Auto auf einen gewartet hat?« »Was wollen Sie, Irving?« Wenn ich die Frage ständig wiederholte, würde er vielleicht mürbe werden.
Das Lächeln verschwand aus dem runden, kleinen Gesicht. Er sah ernst und besorgt aus. »Wir müssen reden, Anita.« »Wird das eine längere Geschichte?«
Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann nickte er. »Könnte sein.« »Dann kommen Sie mit rauf. Ich mache uns einen richtigen Kaffee.«
»Richtigen Kaffee im Gegensatz zu falschem?«, fragte er. Ich ging in Richtung Treppe. »Einen Kaffee, dass Ihnen die Brusthaare sprießen.« Er lachte.
Die Zweideutigkeit fiel mir erst jetzt auf Ich wusste, dass er ein Gestaltwandler war, und hatte ihn sogar einmal in seiner Wolfsgestalt gesehen, aber ich hatte es wieder vergessen. Wir kamen gut miteinander aus, und in Menschengestalt hatte er so gar nichts Übernatürliches an sich.
Wir setzten uns an den kleinen Küchentisch und tranken Kaffee mit Vanillenussaroma. Die Kostümjacke hatte ich über die Stuhllehne gehängt. Das Schulterholster mit der Pistole hatte ich angelassen. »Ich dachte, Sie waren heute Abend verabredet, Blake.«
»War ich auch.« »Komische Verabredung.« »Als Frau kann man nie vorsichtig genug sein.« Irving blies in seine Tasse und schlürfte geziert. Sein Blick huschte von einer Ecke zur anderen und nahm alles in sich auf. Noch Tage später würde er den Raum in allen Einzelheiten beschreiben können, bis hin zu den Nike Airs und den Joggingsocken vor der Couch. »Was gibt es, Irving?«
»Klasse Kaffee.« Er wollte mir nicht in die Augen sehen. Schlechtes Zeichen. »Was ist los?« »Hat Richard Ihnen etwas über Marcus erzählt?« »Ihr Rudelführer, ja?« Irving sah mich erstaunt an. »Er hat es Ihnen erzählt?« »Ich habe heute Abend erfahren, dass Ihr Leitwolf Marcus heißt. Dass ein Kampf um die Nachfolge im Gange ist. Marcus will Richards Tod. Richard sagt, er will nicht gegen ihn kämpfen.«
»Ach, er hatte ihn schon besiegt«, erzählte Irving. Jetzt staunte ich. »Warum ist Richard dann nicht der Rudelführer?«
»Richard zeigte sich plötzlich zart besaitet. Er hatte schon die Pranken an Marcus' Kehle, Blake.« Irving schüttelte den Kopf. »Er meinte, sie könnten darüber reden, sobald Marcus sich erholt hat, sich einigen.« Er stieß einen rauen Laut aus. »Ihr Freund ist ein Idealist.«
Idealist. Das war fast so viel wie Idiot. Jean-Claude und Irving waren einer Meinung. Das kam nicht oft vor. »Erklären Sie mir das.«
»Durch Kämpfe kann man in der Hierarchie aufsteigen. Man gewinnt und klettert eine Stufe rauf. Man verliert und bleibt, wo man ist.« Er trank einen ausgiebigen Schluck und schloss dabei die Augen, als wollte er die Wärme genießen. »Bis man um die Führerschaft kämpft.«
»Lassen Sie mich raten. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod.« »Ohne Tod kein neuer Anführer«, sagte er. Ich schüttelte den Kopf. Der Kaffee stand noch unberührt vor mir. »Warum erzählen Sie mir das alles, Irving? Warum gerade jetzt?«
»Marcus will mit Ihnen sprechen.« »Warum hat
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