Anita Blake 05 - Bleich Stille
ganze Qual, wenigstens so viel er sich vorstellen konnte, kroch über sein Gesicht. »Wir müssen etwas unternehmen, Anita. Wir müssen ihn retten.« Er drehte sich um, als wollte er den Hügel wieder runterlaufen.
Ich fasste ihn beim Arm. »Bis Jean-Claude da ist, können wir gar nichts tun.« »Aber wir können nicht einfach nichts tun.« »Wir tun nicht nichts. Wir tun unsere Arbeit.« »Aber wie können wir ...« »Weil wir jetzt nichts anderes tun können.«
Larry sah mich einen Augenblick lang an, dann nickte er. »Na schön. Wenn Sie ruhig sein können, dann ich auch.« »Gute Haltung.« »Danke. Jetzt zeigen Sie mir diesen raffinierten Trick, von dem Sie gesprochen haben. Ich habe noch von keinem gehört, der zu den Toten durchdringen kann, ohne sie vorher erweckt zu haben.«
Offen gestanden bezweifelte ich, dass Larry dazu imstande war. Ihm aber sagen, er würde es vielleicht nicht können, würde sein Selbstvertrauen nicht gerade fördern. Magie, sofern man es so nennen kann, hängt oft vom eigenen Zutrauen ab. Ich habe erlebt, wie machtvolle Menschen Selbstzweifeln völlig gelähmt wurden.
»Ich werde den Friedhof abschreiten.« Ich überlegte, wie ich es in Worte fassen sollte. Wie erklärt man etwas, das man selbst nicht restlos begreift?
Ich habe zu den Toten schon immer eine Affinität gehabt, Selbst als kleines Kind wusste ich immer, ob die Seele einen Körper verlassen hatte. Ich erinnere mich an das Begräbnis meiner Großtante Katerine. Ich bin nach ihr genannt worden, mit dem zweiten Vornamen. Sie war die Lieblingstante meines Vaters. Wir sind früh hingegangen, um die Tote zu besichtigen und uns zu vergewissern, dass alles bereit war. Ich fühlte ihre Seele über dem Sarg schweben. Ich blickte auf und erwartete, sie dort zu sehen, aber für meine Augen gab es keine Bestätigung. Ich habe niemals eine Seele gesehen. Ich habe sie gespürt, aber keine gesehen.
Ich weiß jetzt, dass Tante Katerines Seele sich lange Zeit herumgetrieben hat. Die meisten Seelen gehen innerhalb von drei Tagen, manche sofort, andere nicht. Die Seele meiner Mutter war fort, als das Begräbnis stattfand. Ich habe sie dort nicht gespürt. Da war nur der geschlossene Sarg und eine Decke aus rosa Rosen darüber, als könnte dem Sarg kalt werden.
Es war zu Hause, wo ich meine Mutter nahe bei mir schweben fühlte. Nicht die Seele, die eigentlich nicht, aber einen Teil von ihr, der noch nicht loslassen konnte. Ich hörte immer ihre Schritte auf dem Flur vor meinem Schlafzimmer, als ob sie kommen und mir einen Gutenachtkuss geben würde. Monatelang ist sie durchs Haus gezogen, und ich habe das tröstlich gefunden. Als sie mich schließlich verließ, war ich bereit, sie ziehen zu lassen. Ich habe das meinem Vater nie erzählt. Ich war erst acht, und mir war klar. dass er sie nicht hören konnte. Möglich, dass er anderes hörte. Ich weiß es nicht. Mein Vater und ich haben nie viel über den Tod meiner Mutter gesprochen. Es brachte ihn immer zum Weinen.
Lange bevor ich Tote erwecken konnte, bin ich fähig gewesen, Geister zu spüren. Was ich nun tun wollte, war nur eine Erweiterung dieser Fähigkeit oder vielleicht auch eine Kombination von beidem. Ich weiß es nicht. Es war, als wollte man jemandem erklären, dass da eine Seele über Tante Katerines Sarg schwebte. Entweder merkte man, dass da eine war, oder man merkte es nicht. Mit Worten ließ sich das nicht beschreiben.
»Können Sie Geister sehen?« »Sie meinen, jetzt?« Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, ganz allgemein.«
»Also, ich wusste, dass es in dem Calvin-Haus nicht gespukt hat, egal wie viele Geschichten die Leute erfunden haben. Aber es gab eine kleine Höhle vor der Stadt, wo etwas drin war. Etwas recht Unfreundliches.«
»War es ein Geist?« Er zuckte die Achseln. »Ich habe nie versucht, das zu ergründen, aber außer mir schien dort keiner etwas zu spüren.« »Wissen Sie, wenn die Seele einen Körper verlässt? Ich meine, merken Sie es?« »Sicher.« Er hörte sich an, als ob man sagte: Kann das nicht jeder?
Ich musste schmunzeln. »Sehr gut. Ich werde es jetzt tun. Ich weiß nicht, was Sie sehen werden, wenn überhaupt. Ich weiß, dass Stirling enttäuscht sein wird, weil er nämlich gar nichts sehen wird, außer er hat mehr Talente, als man ihm ansieht.«
»Was haben Sie vor, Anita? Einen Friedhof abschreiten war im College nie Thema.«
»Es ist nicht wie ein Zauberspruch, ein paar
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